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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Überlebenstraining ihres Vaters, und Peters hatte dem zugestimmt. Jetzt ging es um die Auswahl der Dinge, die man mitnehmen wollte.
    Zuerst das Fleisch; das war das Wichtigste. Dann die Werkzeuge. Streichhölzer und zwei Töpfe. Schuhe, etwas Unterwäsche.
    »Halt!« sagte Peters. »Das ist genug. Wer werden noch mit Freude Stück um Stück von uns werfen und froh sein, nackt herauszukommen. 200 Kilometer Urwald! Da wird ein Pfund wie ein Zentner!«
    »Die Kamera nehme ich mit«, sagte Gloria. »Zehn Filme sind dabei.«
    »Das ist gut.« Peters lächelte verzerrt. »Wir werden unseren Untergang wechselseitig fotografieren.« Er blickte in den Abendhimmel und ballte die Fäuste. »Warum kommt denn niemand? Warum suchen sie uns nicht?! Elf Menschen! Sind elf Menschen so wenig wert?! Gibt man sie einfach auf?«
    Sie wurden nicht aufgegeben, aber die Suchflugzeuge flogen jetzt Gebiete ab, die siebzig Kilometer nördlich von ihnen waren. Wer rechnete schon damit, daß Pedro Dalques so weit vom Kurs abgekommen war …
    In dieser letzten Nacht im Flugzeug schliefen sie zum erstenmal gut und fest. Sie lagen nebeneinander, und bevor sie einschliefen, hatten sich zum erstenmal ihre Körper berührt, und es war ein herrliches Gefühl, mit nichts Bekanntem vergleichbar, ein Dom aus Geborgenheit, eine selige Atemlosigkeit.
    »Ich liebe dich«, sagte Peters und küßte sie. »Es ist unbeschreiblich, wie ich dich liebe.«
    Und sie hörten, wie ihre Herzen gegeneinanderschlugen, jung, kräftig und Leben fordernd.
    Am nächsten Tag, in der Morgendämmerung, brachen sie auf.

7
    Hellmut Peters ging voraus. Es gab darüber gar keine Diskussion. Er trug nicht nur den schwersten Rucksack mit dem Werkzeug und der Hälfte des Fleisches, er hatte auch das Beil und schlug damit die schmale Gasse durch das verfilzte Unterholz. Ein Pfad, durch den man sich gerade hindurchwinden konnte, ein Höhlengang durch Riesenfarne, Lianen, fettblättrige Büsche, verfaulende Äste und üppige Schlingpflanzen, die wie ein grünes Netz alle Bäume miteinander verbanden.
    Die Karte von Pedro Dalques nutzte wenig. Sie zeigte nur so viel, daß man, wanderte man stur nach Süden, irgendwann einmal auf den Rio Purus treffen mußte. War die Absturzstelle nur ein paar Kilometer östlicher als angenommen, erreichte man den Rio Tapauá. Das aber bedeutete, daß man später mit einem Floß in ein Flußgebiet geriet, in dem die nächste menschliche Siedlung Bôca do Tapauá hieß. 350 Kilometer nordöstlich im Amazonasbecken.
    350.000 Meter über reißende Flüsse und durch Stromschnellen, durch Sandbänke hindurch, an Krokodilherden und Piranhasschwärmen vorbei; 350 Kilometer ein hilfloser Spielball der Natur.
    Sie kamen langsam voran. Das schrittweise Herausschlagen des Weges ermüdete schnell, die Luft war heiß und gesättigt mit Feuchtigkeit, dieses unbegreifliche Riesenwachstum aller Pflanzen atmete eine süßliche, widerliche Fäule aus. Überall tropfte es, klebten Blätter und Zweige, als seien sie mit Leim eingeschmiert. Affen begleiteten sie, kreischten ohrenbetäubend, schwangen sich turmhoch über ihnen durch die Bäume und warnten alle anderen Tiere vor dem Unbekannten, das sich da unten auf der Erde durch das Dickicht schlug. Seltsame Vögel mit gebogenen gelben Schnäbeln und einem pfeifenden Lockruf schnellten um sie herum und schossen so dicht über ihren Köpfen dahin, daß sie sich unwillkürlich duckten und die Schultern hochzogen.
    Nach vier Stunden klebten an ihnen eine Menge Blutegel, so wie Fliegen sich auf ein Honigbrot setzen. Sie legten eine Rast ein und brachen die Blutegel aus ihrer Haut heraus, pralle Biester, vollgesogen und fett. Moskitoschwärme umsurrten sie und flogen wie transparente Wolken im streifigen Sonnenlicht. Der Schweiß lockte sie an, und es war sinnlos, jede Mücke zu erschlagen, die sich auf die Haut setzte.
    »Was hat man beim Überlebenstraining gegen die Moskitos gelernt?« fragte Peters sarkastisch. Er hatte das einzige Moskitonetz, das er im Flugzeug gefunden hatte, über sich und Gloria gelegt. Wie in einem dünnen Netz gefangen hockten sie auf der Erde, um sich Farne, dickhalmige Gräser und Büsche, als seien sie Däumlinge im Riesengarten. Es war ein armseliges Moskitonetz, an vier Stellen zerrissen. Die Mücken hatten den Trick bald heraus, schlüpften durch die Schlitze und badeten sich im Schweiß.
    »Man beachtet sie nicht«, sagte Gloria.
    »Man kann tausend ignorieren, aber wenn sie gleich zu

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