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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erschreckend gealtert, das Entsetzen und die Ausweglosigkeit ihrer Situation hatten tiefe Kerben in seine Züge geschlagen. Während er so dastand, stumm und zerbrochen, spreizte er die Hände von seinem Körper.
    »Soll ich dir eine Tasse Tee machen?« fragte Gloria leise.
    »Ich möchte meine Handflächen ausbrennen«, antwortete er dumpf.
    »Wir brauchen deine Hände noch, Hellmut.« Sie holte den kleinen Blechkessel vom Feuer, streute die getrockneten Orchideenblätter in das kochende Wasser und rührte mit einem Ast darin herum. »Wie lange muß es trocknen?«
    »Wir warten noch drei Tage.« Peters knirschte mit den Zähnen, spreizte die Finger und hielt sie gegen das Feuer. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich das aushalte«, sagte er tonlos. »Das nicht! Aber es ist nichts passiert, gar nichts. Nicht einmal kotzen mußte ich. Und dabei habe ich in Dortmund immer einen Umweg gemacht, wenn ich am Schlachthof vorbei mußte. Immer. Schon wenn ich die Viehtransporter sah … Gloria, der Hunger macht den Menschen zu einem Untier.«
    »Trink!« Sie hielt ihm eine Plastiktasse mit Tee hoch. Er nahm sie, und als sich ihre Hände berührten, zuckten beide zusammen.
    »Ja, so ist das«, sagte er und atmete röchelnd. »Wir werden aus Ekel sterben. Vielleicht hätten wir doch nur die Raupen fressen sollen.«
    Er trank den heißen Tee in kleinen hastigen Zügen, als käme er aus einer wasserlosen Wüste zurück. Dann zögerte er einen Augenblick und warf die Tasse in das Feuer. Die Flammen ergriffen sofort das Plastik und schrumpften es zu einer unförmigen Masse zusammen.
    »Warum?« fragte Gloria. »Die Tasse war wichtig. Das nächste Haushaltswarengeschäft ist 200 Kilometer weit entfernt.«
    »Ich habe sie in meiner Hand gehabt. Du sollst sie nie wieder anfassen. Diese Hände! Diese verfluchten Hände!« Er schlang sie gegeneinander, warf sich herum und rannte weg in die noch fahle Dunkelheit.
    Als er zurückkam, saß Gloria gegen den Flugzeugrumpf gelehnt und hatte den kleinen Spaten neben sich liegen. Dort, wo die Gräber der anderen lagen, war ein kleines Viereck frischer Erde festgestampft.
    Sie hat die Reste begraben, durchfuhr es ihn. Gott im Himmel, sie hat es getan. Den Kopf, die Knochen, Füße und Hände, die Innereien … sie hat es getan! Ich bin weggelaufen und habe mich vor mir selbst versteckt, und sie begräbt die Reste.
    »Warum hast du mich nicht gerufen?« stammelte er. »Gloria, das war meine verdammte Aufgabe.«
    »Ich wollte Hände haben wie du«, sagte sie ruhig. »Jetzt sind wir wieder gleich. Zwei Wesen, irgendwelche Wesen, denn Menschen sind wir doch nicht mehr. Wir sind doch keine Menschen mehr, nicht wahr, Hellmut?«
    »Wir sind du und ich.« Er setzte sich neben sie, hob zögernd seine Hand, aber als sie lächelte, legte er sie an ihre Wange und streichelte sie.
    So erlebten sie den Morgen, den glutenden Himmel und die bunten Vögel, die durch die Zweige huschten. Sie saßen eng umschlungen vor dem erloschenen Feuer, und hinter ihnen schaukelten an dem langen Draht die gesalzenen Fleischstücke im Wind. Eine grausige Girlande.
    Als der feuchte Wald wieder zu dampfen begann und Peters mit dem Beil Holz spaltete, trat er plötzlich wieder aus dem Dickicht – lautlos, geschmeidig, ohne Furcht, die grünen Augen eng beieinander, leise schnurrend wie eine zufriedene, gestreichelte Katze.
    Der Wind stand anders, das fremde Wesen stank nicht mehr.
    Peters umklammerte den Beilstiel und begann zu zittern. Der schwarze Panther blieb auf der Lichtung stehen und leckte sich über die Nase.
    »Geh weg!« sagte Peters gepreßt. Und plötzlich brüllte er: »Geh weg, du verdammtes Aas! Warum kommst du wieder? Jetzt brauche ich dich nicht mehr! Hau ab!« Er warf mit den Holzscheiten nach dem Tier, faßte dann das Beil mit beiden Händen und stürmte auf den Panther los.
    Das schöne Tier sah ihn groß an. Es hüpfte geschmeidig ein paar Schritte zur Seite, wich den Holzkloben aus und fauchte warnend.
    »Bleib stehen«, schrie Gloria vom Wrack. Sie war von Peters' Schreien aus dem Schlaf geweckt worden und kroch nun aus dem Flugzeugrumpf. »Hellmut, er ist stärker als du! Bleib stehen!«
    »Ich zertrümmere ihn!« brüllte Peters. Er war außer sich. »Warum ist er zurückgekommen? Komm her, du Satan, komm her!«
    Er duckte sich, als er sah, wie der Panther erstaunt stehenblieb und mit dem Schweif zu schlagen begann. Sie starrten sich an, und plötzlich wußten Mensch und Tier, daß es jetzt kein Zurück

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