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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stellte sich neben den einsamen Wassertopf. Sein Glücksgefühl, auf Menschen gestoßen zu sein, wich plötzlich einer würgenden Beklemmung. Seine Stimme veränderte sich, ohne daß er es merkte, sie wurde härter und schriller.
    »Genug mit dem Blödsinn. Wir müssen was tun, Gloria. Sie müssen auf uns aufmerksam werden. Vielleicht sind wir gar nicht so weit von einem Fluß entfernt … Gloria …«
    Jetzt war es schon ein Aufschrei, und dieser Schrei zog alles von ihm weg, und er begriff.
    Er ließ die Holzstücke fallen, rannte die Gasse, die sie geschlagen hatten, zurück, rannte wieder nach vorn zu dem einsamen Wassertopf, warf sich irgendwo in das Dickicht, das ihn zurückfederte, als spränge er gegen eine Gummiwand, und dabei schrie er Glorias Namen und trat den Wassertopf mit einem gewaltigen Tritt in die Büsche. Dann blieb er plötzlich stehen, wie gelähmt, ganz still, erstarrt in der Erkenntnis, daß er allein war. Allein in einem unbekannten Urwald, ohne Waffen, ohne Werkzeuge, ohne Wasser, ohne Fleisch, ohne die Möglichkeit, Feuer zu machen, ohne die geringste Chance, zu überleben. Ein Mensch allein mit seinem nackten Leben, das weniger wert war als das Summen der Moskitos.
    »Gloria«, sagte er entsetzt. Er wußte nicht, ob er es aussprach oder seine Stimme nur nach innen hörte. »Gloria … Menschen sind hier … M-e-n-s-c-h-e-n.«
    Dann begann er zu suchen, nach der Andeutung einer Spur, nach einem winzigen Hinweis. Er fand nichts. Es war, als habe die Abendsonne sie aufgesaugt.
    Nachher saß er in der Nacht, trank das schal gewordene Wasser, das er mit dem zurückgeholten Topf von dicken Blättern abschabte, und fragte sich, wie ein Mann anständig zu sterben habe: Hängt er sich auf, verhungert er oder läuft er einfach herum, bis er umfällt?
    Er konnte sich nicht einig werden, er wußte nur eines: daß es ein Wunder sein würde, wenn er überlebte.

8
    Es geschah ganz plötzlich.
    Gloria saß in der Hocke vor Peters' Rucksack und suchte nach den Streichhölzern, schüttelte lachend den Kopf über das anschwellende Gekreische der Affen und beobachtete, daß die Tiere höher die Bäume hinaufflüchteten und sich dort zu Klumpen zusammenscharten.
    Im gleichen Augenblick hatte sie das unangenehme, nicht erklärbare Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Etwas Fremdes, Gefahrvolles war hinter ihr, schweigend, aber es strahlte die Gefahr aus wie ein Wärmestoß. Sie wirbelte herum, verlor dabei den Halt und fiel auf den Rücken.
    Dort, wo sie den schmalen Pfad durch den Dschungel geschlagen hatten, standen dicht bei dicht in einem Halbkreis kleine, braunrote, mit Streifen bemalte nackte Männer. Ihre Gesichter waren verschrumpelt, als hätten sie wie Bratäpfel im Ofen gelegen. Es waren verzerrte Fratzen, durch Bemalung und Beschmierung mit Lehm noch menschenunähnlicher, als sie von Natur aus schon waren.
    Die kleinen, nackten Männer trugen Bogen und Pfeile, einige lange, dünne Speere mit Steinspitzen oder nadelfeinen, harten Dornen. Sie standen da wie aus dem Boden gewachsen, wie bizarre braune Pilze, die Geschlechtsteile in hochgebundene, geflochtene Röhren gesteckt.
    Als Gloria aufsprang, senkten sie die Speere mit den Nadelspitzen, spannten die Bogen und schwiegen weiter. Nur in ihren Augen lag das fassungslose Staunen, das sie ergriffen hatte. Ein Mensch mit weißer Haut! Der Körper war verhüllt, wie zusammengeklappte Flügel. Oder doch kein Mensch? Ein neuer, riesiger Vogel? Eine sich schon einspinnende weiße Riesenmade? Konnte man das töten? Konnte man das essen? Die Unsicherheit war groß. Die fratzenhaften, vergreisten Gesichter, diese graubraunen Lehmmasken mit den lebendigen, fragenden, zwischen Götterglauben und Mord schwankenden Augen starrten Gloria an und warteten auf ein Zeichen. Es gibt Augenblicke im Leben, in denen nicht mehr der Verstand einen Menschen reglementiert, sondern ein rätselhafter, längst totgeglaubter tierischer Instinkt. Auch bei Gloria hakte die Vernunft völlig aus, aber sie tat in ihrer alles wegspülenden Panik das, was genau richtig war. Sie schrie nicht, sie versuchte nicht zu flüchten, sie machte keine hastige Bewegung. Alles, was die kleinen, nackten, noch furchtsamen Menschen zum Handeln treiben konnte, verhinderte die Lähmung, die das Entsetzen über ihr ausbreitete.
    Statt dessen sagte sie mit einer völlig ruhigen, begütigenden Stimme, so wie man zu einem scheuen Pferd spricht, damit es die Ohren spitzt und Vertrauen zu dieser Stimme

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