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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine Reserve von Mut, eine Art seelischer Fallschirm, dessen Reißlinie man zieht, bevor man ganz aufgibt.
    Hellmut Peters wartete mit Ungeduld den Morgen ab. Jetzt, in der Dunkelheit, die hier fast vollkommen war, saß er fest wie in einem verschlossenen Kasten. Es war völlig blödsinnig, einfach loszugehen, diese grüne Wand irgendwo zu durchbrechen und sich meterweise vorwärts zu kämpfen, um dann doch in der falschen Richtung zu marschieren. Beim ersten Frühlicht sah man weiter. Die Menschen, die Gloria mitgenommen hatten, waren nicht über die Erde geschwebt. An irgendeiner Sache – was es sein konnte, davon hatte er keine Vorstellung – mußte man den Weg, den sie genommen hatten, erkennen.
    Er gestand sich ein, sich in den vergangenen Stunden bis zum völligen Einbruch der Dunkelheit kindisch benommen zu haben. Seine Verzweiflung war mit ihm durchgegangen, und statt mit dem Blechtopf Fußball zu spielen und immer nur Glorias Namen zu schreien, hätte er Zentimeter um Zentimeter des Bodens absuchen müssen. Nur höchstens zwanzig Minuten trennten ihn von Glorias Schicksal, und er hatte diesen winzigen Vorsprung verschenkt.
    Die ganze Nacht über grübelte er darüber nach, was die Wilden bewogen haben mochte, nur Gloria mitzunehmen und ihn allein zurückzulassen.
    »Das ist keine Logik!« sagte er laut und freute sich über seine Stimme. Wie ein Kind, das die Schatten der Nacht aufhellt, indem es mit sich spricht, leise singt oder auch nur pfeift, empfand auch Peters ein Weggleiten des inneren Drucks aus Panik und Angst, als er eine menschliche Stimme um sich hörte.
    »Sie hätten mich töten müssen. Warum haben sie es nicht getan?« Und er gab sich nach einigem Grübeln auch die Antwort: »Sie haben dich nicht gesehen. Sie wissen nicht, daß es dich gibt. Sie kamen hierher, sahen Gloria und nahmen sie mit. Das bedeutet, daß eine Richtung schon wegfällt, sie sind nicht aus der Gegend gekommen, in der ich den Aschenhaufen gefunden habe.«
    Irgendwann schlief er ein, obwohl er sich vorgenommen hatte, wach zu bleiben. Aber das tausendfache Gezirpe im Wald, diese Vielfalt nicht greifbarer Nachtlaute, das rhythmische Rufen eines anscheinend großen Vogels und das monotone Rauschen der turmhohen Baumwipfel ergab eine Melodie, die einlullte und die Nerven beruhigte.
    Als er am Morgen erwachte, war er von Moskitos zerstochen, Blutegel klebten an ihm wie braune Würste, und über seinen linken Oberschenkel marschierte in geschlossener, handbreiter Formation ein Heer rötlicher, dicker Ameisen. Sie bissen ihn nicht, sondern betrachteten ihn als ein Gebirge, das es zu überwinden galt.
    Peters sprang auf, brach die Blutegel aus seiner Haut und klopfte die Ameisen ab, die sich an ihn klammerten. Das rote Heer marschierte unterdessen weiter auf seiner eingeschlagenen Straße, als habe sich nichts geändert.
    »Stur wie die Menschen!« sagte Peters und trat aus dem Weg. »Der Führer latscht voraus, und das Volk folgt ihm ohne Rücksicht auf Verluste.« Er suchte das Bratenstück, säuberte es von Mücken und Käfern, schabte wieder geduldig Tropfen um Tropfen Wasser von den wie Schalen gebogenen Blättern, in denen sich das Regenwasser sammelte wie in kleinen Zisternen, und wusch das Fleisch in dem verbeulten Blechtopf. Dann biß er in den Braten und zwang sich, nicht daran zu denken, daß schon Tausende Fliegeneier darin abgelegt worden waren.
    »Dreimal kräftig beißen, dann Schluß!« sagte er laut. »Du mußt reichen, bis ich eine Idee habe, wie ich nicht verhungere.«
    Er steckte das Stück Fleisch in die Hosentasche, sah den Topf an, dieses henkellose Ding, aus einem Flugzeugtrümmerteil gehämmert, und stülpte ihn dann auf seinen Kopf.
    »Lach nicht!« sagte er. »Das ist bitterer Ernst. Ich muß die Hände frei haben, um mich durch den Wald zu schlagen.«
    Er trank von dem abgekratzten Wasser, das süßlich schmeckte, wie parfümiert, schüttete sich die verbleibenden paar Schlucke ins Gesicht und verrieb sie. Da erst spürte er, wie sein Gesicht von den Moskitostichen aufgetrieben sein mußte, übersät mit dicken Quaddeln, die sofort zu brennen begannen, als er mit der Hand darüberrieb.
    Wie lange dauert es, bis das Fieber kommt? dachte er. Mit Tausenden Stacheln haben sie mich infiziert. Da helfen auch keine Schutzimpfungen mehr.
    Er erinnerte sich plötzlich völlig unsinnig an den Arzt, der ihn in Hamburg, im Tropeninstitut, geimpft hatte. »So«, hatte er gesagt, »jetzt haben wir Sie vollgepumpt

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