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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dumpf. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Der Mann riß ein Steinmesser vom Boden des Einbaums, und wo Glorias Fingerspitze ihn getroffen hatte, stieß er sich das Messer in die Wange und verrieb dann das herausströmende Blut über sein ganzes Gesicht.
    Die Sonne hat mich berührt! Brüder, mich hat die Sonne berührt! Das Licht soll sich mit meinem Blut vermischen –
    Die Paddel schlugen schneller durch das Wasser. Der Abend kam unaufhaltsam, und bis zur Dunkelheit mußte man im Dorf sein. Wer in der Nacht draußen war, beleidigte die Toten!
    Das Wasser des Flusses gurgelte um das Boot. Sie fuhren stromaufwärts, durch Strudel, zwischen flachen Sandbänken und steinigen Klippen hindurch. Die kleinen, nackten Männer keuchten und schwitzten, drückten die Paddel in das Wasser und stießen das Boot vorwärts.
    Wir bringen die Sonne! Brüder, wir bringen die Sonne!
    Gloria richtete sich auf. Der Mann hinter ihr verrieb noch immer sein Blut über das Gesicht und lachte sie an. Die nackten Körper vor ihr pendelten im Paddelschlag vor und zurück, schweißüberdeckt, muskelbepackt, dicke Stränge unter der gespannten Haut, aber alles verkleinert, en miniature, ein Geschlecht bulliger, kräftiger Zwerge. Ihre lackschwarzen Haare hatten sie kreisrund von der halben Stirn an abgeschnitten, eine Topfdeckelfrisur, die zu ihnen paßte. Menschen wie Pilze, aus deren Stielen und Lamellen sich Gliedmaßen gebildet hatten.
    Eine Biegung des nicht sehr breiten Flusses, ein Tunnel aus überhängenden Bäumen, Mangroven und Schlinggewächsen, so niedrig, daß man unwillkürlich den Kopf einzog, der Fluß verschwand in einer grünen Röhre aus wogenden Blättern, die Luft wurde schwer, stickig, süßlich-fett und blieb trotz des Abends heiß … Dann war es, als habe ein Riese aus diesem grünen Tunnel einen Flicken herausgeschnitten, ein flaches Ufer tauchte auf, an Land gezogene Einbäume, so etwas wie ein hölzerner Steg, und auf dem Steg ein Krieger, der beim Anblick des Bootes einen hellen, vogelähnlichen Schrei ausstieß.
    Der Wachtposten.
    Als er den Menschen mit der weißen Haut und den goldenen Haaren erkannte, warf er seine Waffen weg und rannte schreiend davon.
    Die Männer in dem Boot begannen jetzt zu singen. Ein wilder Gesang, rauhkehlig und doch rhythmisch. Sie trieben das Boot mit kräftigen Schlägen an Land, hoben Gloria wieder auf ihre Hände, stemmten sie empor und trugen sie über ihren Köpfen, wie auf einer Opferschale liegend, das leicht ansteigende Ufer hinauf.
    Die Sonne! Die Sonne! Die Sonne!
    Sie machte sich steif und rührte sich nicht.
    Es war ein grandioser Anblick, wie die zehn nackten, kleinen, braunen Männer auf ihren hochgesteckten Armen die weiße Göttin aus dem Fluß trugen.
    Ihr goldenes Haar wehte im Wind, blähte sich auf wie ein Fächer und wurde zu einem flatternden Kragen aus gesponnenen Sonnenstrahlen.
    Die Menschen vom Stamme der Ximbú breiteten betend die Arme aus –

9
    Hellmut Peters hatte nicht gelernt, in ausweglosen Situationen zu überleben. Er war kein Urwaldläufer, und als er vor zwei Jahren nach Brasilien kam, um bei Leticia die Stromschnellen zu besichtigen und mit einem Team anderer Ingenieure Pläne für die Nutzbarmachung der dort wegströmenden Energien zu entwerfen, kannte er den Urwald nur aus Büchern und vom Erdkundeunterricht in der Schule.
    Bis auf ein paar Ausflugsfahrten auf dem Amazonas und dem Rio Javari kannte er nur die verschiedenen Katarakte des Gebietes, an denen man das Wasser auffangen und durch Turbinen leiten wollte. Was soll's, hatte er sich gesagt. Wald ist Wald, und was ich bisher gesehen habe, ist zwar imposant, aber im Grunde genommen ein üppig wachsender Mist.
    Er hatte nie den Ehrgeiz gehabt, in das Urland vorzudringen, und wenn, dann würde man es mit automatischen Holzfällern tun, mit Raupenfahrzeugen, Kränen und Lastwagen, deren Räder über zwei Meter im Durchmesser maßen. Schneisen schlagen in dieses strotzende Grün, Straßen den Fluß entlang, Rohrleitungen, in denen die Energie floß. Auf einem schaukelnden Boot aber durch den Dschungel zu fahren, immer mit der Gefahr im Nacken, umzukippen und dann von den Piranhas in Sekundenschnelle skelettiert zu werden, so weit reichte sein Ehrgeiz nicht und – ehrlich gesagt – auch nicht sein Mut.
    So traf ihn jetzt die völlig aussichtslose Situation um so härter. Aber ein Mann gibt nicht auf, und wenn man auch nicht als Held geboren wird, so ist da doch in jedem Menschen

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