Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
mit allem, was möglich ist. Aber glauben Sie nicht, Sie könnten jetzt mit einer Indianerin schlafen, die die Pocken hat. So immunisieren können wir Sie nicht.«
Damals hatten beide über den Witz gelacht, und er hatte geantwortet: »Ich werde vorher von allem, was möglich ist, einen Abstrich machen und schicke es Ihnen per Eilboten zu.«
Er fuhr wieder über sein aufgedunsenes, zerstochenes Gesicht und wagte nicht, daran zu denken, wie er morgen oder übermorgen aussehen würde und wie lange er es aushielt, Nahrung für Blutegel zu sein.
Nach einer halben Stunde Suchens fand er den schmalen, zugewachsenen Pfad. Es war ein Zufall, oder besser, es war der unverdiente Lohn seines Zorns, denn er verfolgte einen großen, struppigen Affen, der furchtlos vor ihm auf die Erde sprang, ihn mit einem breiten Gebiß anfletschte und dann eine für einen Menschen recht unanständige Handbewegung machte. Es war ein Affenmännchen, und Peters warf ein Stück Holz nach ihm.
»Du Saukerl!« sagte er. »So etwas gibt es also auch bei euch?! Wenn du stehenbleibst, kann ich dich erwischen und erwürgen! Mit dir auf dem Rücken kann ich drei Tage leben.«
Er schlich sich an den Affen heran, schnellte sich dann ab und hätte ihn erwischt, wenn der Affe nicht ebenso schnell zurückgesprungen und kreischend in den Wald geflüchtet wäre. Peters verfolgte ihn, und so entdeckte er den schmalen Pfad und einen Fetzen von dem klösterlichen Baumwollhemd, das Gloria als Bluse trug. Es hing an einem Dorn wie eine kleine weiße Fahne.
»Gloria …«, sagte Peters ergriffen. »Ich habe dich, Gloria! Mein Gott, ich danke dir –«
Er küßte das Fetzchen Stoff, und es war wirklich nur Ergriffenheit und Dankbarkeit in dieser zärtlichen Geste, so komisch und kitschig es auch aussah, daß ein Mann, mit einem Blechtopf auf dem Kopf, allein im ausweglosen Urwald, ein Stück Hemdenstoff küßt.
Dann steckte er den Fetzen in die Brusttasche seines Buschhemdes und durchbrach die immer wieder auf ihn einschlagenden Zweige und das Gewirr der Schlingpflanzen, die nach ihm mit tausend Fingern zu greifen schienen.
Der Fluß, Gott im Himmel, da ist ein Fluß! Peters hörte ihn, bevor er ihn sah; er hörte das gurgelnde Rauschen von Wasser, dieses typische Geräusch des über Steine und andere Hindernisse springenden Wassers, das, was ein Dichter einmal den Gesang der Bewegung genannt hatte, das Leben der Materie, das melodische Fließen. Ein Fluß! Ein Fluß!
Der Pfad verbreiterte sich, der Boden wurde weicher. Sumpfland, Überschwemmungsgebiet, ewiger Kampfplatz zwischen Wasser und Wachstum. Bei jedem Schritt sank er jetzt bis zu den Knöcheln ein, watete in einer grünbraunen Brühe und zwang sich, zu vergessen, daß dies die Heimat der brasilianischen Sumpfvipern war. Er lief dem Ufer des Flusses zu, zog keuchend und schweißüberströmt Fuß um Fuß aus dem ihn umklammernden weichen Boden und stand dann endlich am strömenden Wasser, bis zur Hälfte der Wade eingesunken und starrte auf die strudelnden Wellen, die flachen Sandbänke, die wie Rücken nackter, im Strom badender Riesen aussahen, und auf die Grenzenlosigkeit dieser Landschaft, in der, irgendwo hier im Umkreis, Gloria weggeschleppt worden war.
»Sie haben ein Boot gehabt«, sagte Peters laut. »Verdammt, sie sind mit einem Boot davon. Aber jetzt kennt man die Richtung!«
Er blickte den Fluß hinunter, und das war logisch, denn niemand kämpft sich mit einem primitiven Boot durch diese Strudel den Fluß hinauf. Wo er jetzt stand, war gewissermaßen eine Barriere. Von hier aus abwärts floß der Strom träge dahin bis zum nächsten steinernen Wall. Zwischen hier und dem folgenden Strudel muß das Dorf liegen, dachte Peters. Das hier ist ein natürlicher freier Lebensraum.
Er irrte sich. Im Urwald ist die menschliche Logik soviel wert wie ein Affenschrei …
Peters blieb im Uferschlamm stehen und legte sich einen Plan zurecht. Auf dem Wasser vorwärts zu kommen war unmöglich. Ihm fehlte alles, um sich etwas Schwimmendes zu basteln. Es blieb nur der Marsch entlang dem Ufer, der qualvolle Weg durch Sumpf und schwabbelnden Boden, über diesen kleinen Streifen, den der Fluß immer wieder der wuchernden Natur entriß.
Ein Fluß bedeutet Leben, hatte Glorias Vater gesagt, Peters hatte diesen Satz behalten. Es würde sich zeigen, ob er richtig war. In diesem Augenblick war er jedenfalls bereit, daran zu glauben.
Er stand am Ufer und sah den Fluß hinab und merkte so nicht, daß seitlich
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