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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hinter ihm aus einer über dem Wasser hängenden Buschgruppe ein graugrünes, gehörntes und gepanzertes Ungeheuer langsam und lautlos ins Wasser glitt. Erst als der breite gezackte Schwanz in die Wellen peitschte, traf dieser Ton Peters wie eine Faust in den Rücken.
    Er warf sich herum, wollte zurücklaufen, aber der weiche Boden klammerte sich an ihm fest und saugte ihn in sich hinein.
    Drei Sekunden, bis Peters den ersten Fuß herausreißen konnte, drei Sekunden für den zweiten Fuß. Das waren sechs Sekunden zuviel.
    Wie ein Torpedo schoß das Krokodil auf Peters zu.

10
    Die Sonne war wiedergekommen. Die Sonne, heller als sonst. Ein Himmel aus unendlichem Blau. So wolkenlos, wie man ihn noch nie gesehen hatte. Die Götter grüßten die Menschen.
    Gloria lag auf dem Dorfplatz und wagte sich nicht zu rühren. Sie hatte die ganze Nacht so gelegen, wach bis in die letzten Nerven, und hatte gewartet. Aber nichts geschah. Ein Kreis von Kriegern umgab sie, sie hockten wie bemalte Statuen, auf ihre Speere gestützt, und starrten Gloria schweigend an. In der Nacht verschwanden ihre braunen Körper und wurden zu bizarren Schatten, in der Morgendämmerung tauchten sie wieder schemenhaft auf, lösten sich aus der Dunkelheit und wurden wieder wesenhaft. Kein Feuer brannte, kein Licht erhellte den Platz: Die Ahnen, die Toten wollten in Frieden schlafen.
    Im hellen Morgenlicht sah Gloria das Dorf. Es schwebte über dem Boden. Hütten aus Blättern und Zweigen, hineingebaut in breite Astgabelungen der riesigen Urbäume, untereinander und mit der Erde verbunden durch Leitern aus geflochtenen Lianen, Nester, in denen Menschen lebten. Eine schwebende Festung.
    An den Baumhütten zeigte sich keine Bewegung. Die Frauen blieben unsichtbar. Sie lagen mit dem Gesicht nach unten in den großen Nestern und atmeten kaum. Was da unten am Ufer geschah, das Ungeheuerliche, was über den Fluß gekommen war, war Männersache.
    Eine Göttin war erschienen. Was die Sagen der Ahnen prophezeit hatten, es war Wahrheit geworden. Einst wird die Sonne zu euch hinabsteigen und euch ewiges Leben geben, und die Sonne wird aussehen wie ein Mensch, und er wird einen Kopf haben aus brennenden Strahlen …
    Als die Morgensonne aufstieg, hallte ein dumpfer Trommellaut durch das schweigende Dorf. Die im Kreis um Gloria hockenden Krieger breiteten die Arme weit aus.
    Über die Lianenleiter von einem der größten Wohnnester kletterten jetzt drei mit herrlichen bunten Federn behangene Männer auf den Boden. Man erkannte ihre Körper kaum unter dem Gewoge des Federkleides. Aber was Gloria mit einem kalten Schauer sah, waren die Ketten, die sie um den Hals trugen und die, als sie auf dem Boden standen, bis auf die Erde reichten.
    Köpfe, zusammengeschrumpfte, auf Faustgröße verkleinerte Menschenköpfe, an einer Lianenschnur sauber aufgereiht wie überdimensionale, erdfarbige Perlen.
    Die Krieger um Gloria traten zurück und vergrößerten den Kreis. Die dumpfe Trommel, irgendwo dort oben in einem der Menschennester auf den Bäumen, dröhnte noch immer, wurde schneller im Rhythmus, verlor dann völlig die Andeutung einer Harmonie und war nur noch ein wilder, aufpeitschender, vorwärtstreibender, auf- und abschwellender Ton. Wer da oben mit seinen Holzklöppeln auf den ausgehöhlten Baumstamm schlug, war ein Meister.
    Die Männer begannen nun zu tanzen. Es war kein Hüpfen oder Springen, wie man es sonst von Indianern und anderen wilden Völkern kennt, sondern ein Hin- und Herwiegen, ein Auf-der-Stelle-Stampfen von einem Bein auf das andere.
    Gloria erhob sich. Ihr langes, blondes Haar leuchtete in dem klaren Morgenlicht, und für einen Menschen, der noch nie blondes Haar gesehen hat, mußte das ein Wunder sein, unbegreiflich und göttlich schön.
    Sie blickte sich um. Am Ufer standen die beiden Rucksäcke, und das machte sie sicherer. Alles, mit dem man diese Urmenschen verzaubern konnte, enthielten sie: Streichhölzer, einen Spiegel, eine Schere, einen Kugelschreiber. Lächerliche, alltägliche Dinge, die hier im Urwald des Rio Xiruá Attribute des Überirdischen wurden.
    Die drei federeingehüllten Männer kamen feierlich näher. Vorweg ein Mann, der sich auf einen Knüppel stützte. Er mußte ein sehr alter Mann sein, seine Beine schlurften über den Boden, fleischlose Beine, Knochen, mit einer faltigen Haut bezogen. Der Mann hinter ihm war jung. Er war so muskulös wie die anderen Krieger, etwas größer als sie, wahrscheinlich der Größte des Volkes und

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