Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
gut zu, Senhor. Ich mache hier für ein paar lumpige Dollar eine verdammte Dreckarbeit. Für Sie sieht es nicht so aus. Sie latschen durch die Gegend, als sei's ein botanischer Garten. Sie tanzen hier herum mit dem Gemüt eines Kindes. Aber ahnen Sie überhaupt, was uns dort oben am Fluß erwartet? Sie besuchen nicht Tante Anna, sondern einen Indiostamm, der noch keinen Weißen gesehen hat! Kleine, mausschnelle Menschen mit Pfeilen und Blasrohren. Ihre höchste Wonne ist es, die abgeschlagenen Köpfe ihrer Feinde am Gürtel zu tragen.«
»Ich weiß.« Peters sah hinüber zum Fluß, der durch einige Lücken des Unterholzes spiegelte. »Ich kenne Schrumpfköpfe.«
»Aber Ihren noch nicht! Und meinen will ich auch an keinem Gürtel sehen! Darum machen wir einen Umweg, mein Lieber.«
»Wir müssen zu Gloria! Jede Stunde ist wertvoll.« Peters spürte, wie so etwas wie Panik in ihm hochstieg. Der Gedanke, daß Glorias Kopf jetzt vielleicht auf einem Spieß stak und eintrocknete, machte ihn fast wahnsinnig. »Antonio, wir müssen auf dem direkten Weg den Fluß hinauf!«
»Ohne mich. Auch nicht für 100.000 Dollar!« Serra drehte sich um und schlug weiter auf die Lianenbündel ein. Meter um Meter, ein mühsamer, kräftezehrender Weg. Ein immerwährender Kampf gegen die überquellende Fruchtbarkeit der Natur, gegen Zweige, die wie Peitschenhiebe auf sie niedersausten. »Ich laufe den Indios nicht in die Arme!«
»Sind Sie ein Feigling, Serra?« brüllte Peters und hielt ihn wieder fest.
Serra wirbelte herum, ließ die Machete fallen und hieb Peters eine volle Faust ins Gesicht. Der Geschlagene taumelte zurück, fiel gegen einen Baum und hielt sich an ihm fest.
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte Serra verbissen. »Für Geld tue ich alles, nur beleidigen darf mich keiner. Das wäre unbezahlbar.«
Peters atmete schwer. Er spürte, wie ein dünner Blutfaden aus seiner Nase rann. Er wischte mit dem Handrücken darüber und putzte das Blut an der Hose ab. »Das bekommen Sie wieder, Antonio«, keuchte er. »Das verrechnen wir noch.«
»Wenn Sie was auf Vorrat haben wollen, nur ran!« Serra, der kleine, stämmige Bursche, grinste breit. Er war sich seiner Überlegenheit bewußt. Nur wenn er an Ximbús dachte, brach ihm der Schweiß aus den Poren.
Um ehrlich zu sein: Er wußte selbst noch nicht, wie man an Gloria herankommen sollte. Außerdem war es fraglich, ob sie noch lebte. Sollte man für eine Tote sein eigenes Leben aufs Spiel setzen? Lohnte sich der Einsatz?
Er betrachtete Peters, wie dieser am Baumstamm lehnte und sich das Blut von der Nase putzte. Er ist ein gutgebauter Bursche, dachte Serra. Jung, groß, muskulös, aber eben nur ein Säugling in diesem Urwald. Doch ein paar Wochen Wildnis, und alles würde anders aussehen. Er hatte das Zeug, ein harter Waldgänger zu werden. Damit mußte man rechnen, ein solcher Mann wuchs schnell in seine Umwelt hinein. Serra nahm sich vor, sehr vorsichtig zu sein. »Was nun?« fragte er hart. »Wohin gehen wir? Am Fluß entlang und mitten hinein in die Arme der Ximbús, dann ziehen Sie allein los, Senhor! Oder meinen Weg, der ist zwar länger, aber sicherer.«
»Gloria«, stöhnte Peters. Sein Gesicht brannte. Schwärme dicker, ekliger Fliegen setzten sich auf seiner blutenden Nase fest. Sie kümmerten sich nicht darum, daß er eine Masse von ihnen totschlug, sie waren in der Überzahl. »Wir müssen Gloria …«
»Himmel, ja!« schrie Serra. »Ihre schöne Gloria finden wir! Aber dazu müssen wir lebendig sein. Es hat wenig Sinn, wenn sie unsere Schrumpfköpfe begrüßt: Sieh an, der kleine Hellmut … Außerdem befürchte ich, daß ich als Schrumpfkopf ausgesprochen häßlich aussehe.«
»Gehen wir«, sagte Peter müde. »Wie wollen Sie sich in diesem Urwald zurechtfinden, wenn wir vom Fluß abkommen?«
»Ich höre den Fluß.«
»Unmöglich.«
»Sie nicht, natürlich. Ich höre, ob nachts ein Vogel fliegt oder nur sein Gefieder schüttelt. Dagegen ist das Geräusch des Flusses wie ein Donner! Hellmut« – Serra zog Peters zu sich, putzte ihm mit einem dreckigen Tuch über das Gesicht und kniff ihm die Nase zu, um den Blutstrom zu stoppen. Dabei drückte er Peters Kopf in den Nacken. »Begreifen Sie eines: Wenn ich Sie nicht leiden könnte, hätte ich Sie längst weggejagt. So, und jetzt halten Sie die Schnauze, und folgen Sie mir. Denken Sie von mir aus bei jedem Schritt an Gloria, aber machen Sie bloß keinen weiteren Blödsinn!«
Sie gingen weiter, schlugen sich ihren
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