Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
und versanken in einen ekstatischen Taumel.
Wir haben die Sonnengöttin bei uns! Wir haben die Sonnengöttin. Wir sind unbesiegbar geworden. Himmel und Erde gehören uns, uns, den Ximbús –
Gloria preßte die Hände gegen die Ohren. Das Gekreische war unerträglich, es war, als sei jeder Ton eine Kralle, die ein Stück Fleisch aus ihr herausriß. Am Ende schrie sie mit, voll Qual bei dem Gedanken an Hellmut, voll Angst vor den kommenden Stunden oder Tagen, vor allem aber, weil alles in ihr drängte, zu schreien, sinnlos zu schreien …
Und als sie schrie, merkte sie, wie gut ihr das tat.
In dieser Nacht schlief keiner im Dorf. Die Männer hatten vier große Feuer angezündet, deren flackerndes Licht ihre kleinen, stämmigen Körper umzuckte und sie glänzen ließ, als seien sie mit Öl eingerieben. Auch die Frauen waren aus den Baumnestern gekommen, schlank, mit dicken Beinen und kleinen, runden Brüsten, gestutzten Haaren und feinen, fast hübschen Gesichtern. Sie legten sich um die Feuer, und von oben, von Glorias Hütte, sah es aus wie ein Stern, der in der Mitte Feuer spie.
Die Männer begannen zu tanzen. Irgendwo dröhnten die Baumtrommeln und hämmerten den wilden Rhythmus in die Nacht.
Gloria lag oben auf der Plattform ihres Nestes und lugte über den Rand. Sie ahnte, daß es ein Fest zu ihren Ehren war und daß die kleinen Menschen da unten jetzt so glücklich waren wie niemand anders auf dieser Welt.
Aber wie sollte es weitergehen? Wie konnte man ihnen klarmachen, Hellmut zu suchen? Und was geschah, wenn sie einen zweiten weißen Menschen sahen? Zwei Götter sind immer schlecht. Eine geteilte Stärke ist auch nur die Hälfte des Ansehens.
Die Männer um die Feuer begannen jetzt, in Zuckungen zu verfallen. Sie sangen mit einer heulenden Melodie, stampften um die Frauen herum. Mit einem geschlossenen, brüllenden Aufschrei endete plötzlich der Tanz.
Eine unbeschreibliche Orgie hatte begonnen. Die Nacht hallte wider von Schreien, der Boden um die hochlodernden Feuer war bedeckt mit zuckenden Körpern. Göttin der Sonne und der Fruchtbarkeit, sieh uns, und segne uns!
Ein leises Rascheln hinter Gloria ließ sie herumschnellen. Aus dem zuckenden Widerschein der Feuer, der bis zu ihr hinaufreichte, sah sie die dunkle Gestalt neben der Hütte stehen. Sie erkannte sie nicht, aber sie wußte sofort, wer es war.
»Komm nicht näher«, sagte sie mit fester Stimme und wunderte sich gleichzeitig, woher sie den Mut nahm. »Komm bloß nicht näher …«
Sie wußte nicht, was sie tun würde, wenn er wirklich näher kam, aber sie rutschte auf den Knien am Rande der Plattform weiter von ihm ab.
Die dunkle Gestalt folgte ihr, trat jetzt in die fahle Helligkeit des Feuerscheins, hochaufgerichtet, mutig, der kräftigste Mann seines Stammes. Sein Körper mit den Muskelsträngen unter der gespannten glatten Haut war schön, aber ebenso gefährlich.
»Bleib stehen!« sagte sie mit flatternder Stimme. »Bleib stehen, oder ich schreie …«
Es war eine dumme Drohung, aber eine bessere fiel ihr nicht ein. Was half jetzt Schreien, wo alles unten auf dem Dorfplatz kreischte und schrie?
Sie sprang auf und flüchtete um die Hütte herum, sah dort an der Wand die Polaroidkamera liegen und riß sie an sich. Der junge Häuptling folgte ihr, die Finger gespreizt, wie ein Tier, das sich vorbereitet, die Beute anzuspringen.
Der Blitz, durchfuhr es Gloria. Die Kamera hat eine Blitzeinrichtung. Es ist eine von den ganz modernen, mit eingebautem Blitzer und Batterie.
Sie suchte den Hebel mit dem Blitzsymbol, drückte ihn herunter und hoffte, daß sie es richtig getan hatte. Dann riß sie die Kamera hoch und drückte auf den Auslöser in dem gleichen Augenblick, in dem der junge Häuptling die Arme nach ihr ausstreckte, um sie zu ergreifen.
Der Blitz zuckte auf, erhellte grell das Wohnnest und mußte den Indio treffen, als sei aus Glorias Hand die Sonne explodiert. Mit einem Schrei taumelte der junge Häuptling zurück, von unten antwortete ihm plötzliche, lähmende Stille. Die Paare lagen auf der Erde, als habe man sie erschlagen.
Die Göttin hat ein Zeichen gegeben. In der Nacht hat sie einen Sonnenstrahl von sich geschleudert. Welch ein Wunder! Oder war es Zorn? Was macht Numé bei ihr? Habt ihr ihn auch gesehen? Numé ist bei ihr! Numé, der starke Mann, wollte die Göttin befruchten!
Der junge Häuptling lehnte mit geschlossenen Augen an der Hüttenwand. Der Blitz hatte ihn so geblendet, daß er Angst hatte, die Augen
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