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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wieder zu öffnen. Wenn er nichts mehr sah, war er blind, geblendet von der feuerspuckenden Hand der Göttin. Welch eine Strafe!
    Er rührte sich nicht, nur sein Körper zuckte leicht, und seine Lippen zitterten. Gleich nach dem Blitz war eine zweite dunkle Gestalt auf der Plattform erschienen, kleiner als Numé, schlanker, aber schneller in allen Bewegungen. Lautlos war sie die Lianenleiter hinaufgeklettert und wartete jetzt am Einstieg, was die weiße Göttin weiter tun würde.
    Gloria hob mit bebenden Händen wieder die Kamera. »Bleib stehen!« rief sie. Ihre Stimme klang völlig fremd. »Komm nicht näher!«
    Der junge Mann hob beide Hände und streckte ihr die Handflächen entgegen; das uralte Zeichen der Waffenlosigkeit und der Ergebung.
    »Xéré«, sagte er. Seine Stimme war jung, aber von einem seltenen Wohlklang. »Xéré …« Dabei zeigte er auf sich und hob dann wieder beide Hände. Dann wandte er sich um, griff dem jungen Häuptling in die Haare, warf ihn mit einem Ruck um und stieß ihn auf die Plattform. Numé wehrte sich nicht. Er hatte das große Wagnis verloren, er war bereit, dafür zu zahlen. Dem Gesetz des Urwalds entflieht man nicht.
    »Xéré«, sagte der Jüngling wieder. Seine schönen, dunklen Augen glänzten. »Xéré …«
    Gloria begriff. Sie nickte ihm zu, und als sie sprechen wollte, war ihre Kehle zugeschnürt.
    »Ich danke dir, Xéré«, sagte sie mühsam. Es widerstrebte ihr, ihn zu mustern, aber sie mußte es tun, warf einen schnellen Blick auf ihn und sah, daß er nicht die erschreckende Kampfstellung der anderen Männer angenommen hatte. Sie atmete auf und lächelte ihm verzerrt zu.
    Xéré lächelte verschämt zurück, schleifte dann Numé an den Haaren über die Plattform und stieß ihn zum Einstieg. Dort tauchte jetzt der federgeschmückte Kopf des Medizinmannes auf. Ein Keulenschlag traf den jungen Häuptling auf den Brustkorb. Gloria hörte deutlich, wie die Rippen unter diesem Hieb brachen. Und unten, auf der Erde, heulten die Männer und Frauen schauerlich auf.

13
    Schon nach den ersten hundert Metern, die sie am Flußufer entlangwateten, gab es Krach. Hellmut Peters blieb stehen und hielt Antonio Serra an dem zerrissenen, dreckigen Jackett fest. Serra drehte sich herum und spuckte in hohem Bogen an Peters vorbei.
    »Verrückt geworden, was?« knurrte er.
    »Noch nicht so vollkommen, um nicht zu merken, daß Sie einen anderen Weg einschlagen als den, den ich gekommen bin. Wir entfernen uns vom Ufer!«
    »Kluges Kerlchen! Natürlich tun wir das.«
    »Warum?«
    »Ich habe keine Lust, nachher im Nassen zu wandern und mich von Wasserschlangen oder anderen Viechern beißen zu lassen.«
    »Mich hat niemand angefallen.«
    »Natürlich nicht. Merkwürdigerweise haben Idioten einen Schutzengel! Ich weiß, daß Sie immer im knietiefen Wasser herunterkamen. Wenn ich das jemandem erzähle, wird man mich für einen dämlichen Schwätzer halten. Jeder normale Mensch wäre mit Beinstümpfen gelandet! Danach, Senhor, steht mir aber nicht der Sinn.«
    »Wo Sie hinsteuern, kommen wir aber aus der Richtung.«
    »Das überlassen Sie mir«, knurrte Serra. Er griff in die Tasche seines Rockes, holte irgendein Wurzelstück heraus und begann, darauf herumzukauen. Schon nach sechs Kaubewegungen bekam er große, glänzende, glückliche Augen. Peters starrte ihn entgeistert an.
    »Was fressen Sie da?« fragte er grob.
    »Ich lutsche! Die Wurzel Xumbarex. Kennt keiner, nur die hiesigen Indios machen sich total verrückt damit. Sie nennen sie die ›Wurzel der klingenden Träume‹. Bei mir klingt nichts, ich fühle mich nur wohler.« Serra griff in die Tasche. »Auch ein Stückchen, Senhor?«
    »Um Himmels willen, nein! Warum lutschen Sie das Teufelszeug, Antonio?«
    »Warum wohl?« Serra machte eine weite, alles umfassende Handbewegung. »Wer kann das hier mit normalem Gehirn vertragen, he? Überall Feindschaft, getarnt mit betäubend duftenden Blumen. Überall der Tod, versteckt hinter üppiger Schönheit. Und trotzdem kommt man davon nicht los. Es ist wie eine Geliebte, deren Umarmung einen erstickt.« Serra kaute weiter auf seiner Rauschgiftwurzel und ließ die breite Machete in der Hand wippen. »Gehen wir nun weiter, oder quatschen wir noch einen Streifen?«
    »Wir müssen am Fluß bleiben, Antonio!«
    »Einen Dreck müssen wir.«
    »Der Fluß ist unsere einzige Orientierung.«
    Serra klemmte die Machete unter den Arm und strich sich die verwilderten Haare aus dem Gesicht. »Hören Sie mal

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