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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie nicht schießen werden: weil Sie ohne mich verloren sind. Dieser Wald frißt Sie bei lebendigem Leibe auf. Das wissen Sie ganz genau. Sie brauchen mich, aber ich brauche Sie nicht!« Serra streckte die Hand aus. »Geben Sie die Donnerbüchse her, Hellmut.«
    »Sie gehen voraus, ich folge Ihnen. Das ist der einzige Weg, Antonio!«
    »Wollen Sie bis zu den Ximbús hinter mir herlatschen, das Gewehr im Anschlag?«
    »Wenn's sein muß, ja!«
    »Tag und Nacht?« Serra lachte verhalten. »Das halten Sie 48 Stunden aus, dann fallen Sie um. Ich aber bin dann putzmunter! Los, machen Sie keinen Blödsinn, das Gewehr her!«
    Er machte einen Schritt vorwärts. Im gleichen Augenblick drückte Peters ab. Der Schuß hallte durch den Urwald, als hätten zehn Kanonen geschossen. Ein unerklärliches Echo trug den Schall weiter. Es war, als ob überall Schüsse tönten.
    Vor Serra spritzte der Boden auf. Er blieb stehen, seine Augen wurden starr, sein Gesicht verzerrte sich. Auch Peters war betroffen über die Wirkung seines Schusses und lauschte auf den sich fortpflanzenden Ton.
    »Sie Vollidiot!« schrie Serra und schlug die Fäuste gegeneinander. »Jetzt haben Sie alles alarmiert, was nur möglich ist. Warum wohl, Sie Hirnloser, jage ich Affen lautlos mit dem Messer?! Damit man uns nicht hört! Und Sie schießen! Jetzt passen Sie mal auf, wie lebendig der Wald wird! Wissen Sie, was Ihr Leben wert ist? Nicht mal einen Furz! Mutter Gottes, er hetzt uns alles auf den Hals, was nur möglich ist! Ihre Gloria können Sie durchstreichen! Los! Zurück zu meiner Hütte!«
    »Keinen Schritt zurück!« Peters hob wieder das Gewehr. Die Angst um Gloria hatte ihn völlig verwandelt. Verblüfft erkannte selbst Serra, daß Peters das jungenhafte Gesicht verloren hatte: Es war kantiger, männlicher, willensbesessener geworden. Der Urwald begann bereits sein Wesen umzuprägen. »Zum Fluß, Antonio!«
    »Wie Sie wollen, Senhor!« Serra wandte sich zum Gehen. »Aber diesen Zweikampf verlieren Sie. Jetzt haben Sie alle unbekannten Tode des Urwalds zum Feind.«

14
    Die Nacht über blieb Gloria allein.
    Xéré wachte über sie am Fuße des dicken Baumes, auf dessen Astgabelungen Glorias Hütte gebaut war. Die Feuer brannten nieder, die Männer und Frauen lagen noch stundenlang auf der Erde und schwankten dann zu ihren Lianenleitern, kletterten in ihre Baumnester und schliefen. Nur ein paar Krieger blieben wach, saßen am Ufer des Flusses, hockten wie Riesenaffen in den Ästen und beobachteten den jungen Häuptling. Man hatte ihn an einen dünnen, biegsamen Baum gefesselt. Es war eine gemeine Fesselung, satanisch einfach und quälend: Der dünne Baumstamm war etwas nach vorn gebogen, und der Mann mußte ihn mit seiner Körperkraft, vornübergebeugt, in dieser Sehnenart festhalten, sonst schnellte der Stamm zurück und zog den Lianenstrick fest, den er um den Hals geknotet hatte. Das bedeutete ein elendes Erwürgen, frei in der Luft hängend, ohne die Möglichkeit, sich aus der Schlinge zu befreien.
    Der junge Häuptling stand an dem gebogenen Baum, stemmte sich in die Erde, hielt die schreckliche Sehne gespannt und legte seine ganze Kraft hinein. Es mußte ein fürchterlicher Schmerz sein, der ihn dabei durchzog. Seine Rippen waren von dem Hieb der Medizinmannkeule zerbrochen, die spitzen Ende der zertrümmerten Knochen stachen wie tausend Nadeln. Aber er hielt stand, er zog stumm, mit geschlossenen Augen und bebenden Lippen, den Stamm nach vorn, nicht, weil er Angst vor dem grausamen Sterben hatte, sondern weil es sein Stolz war, auch im Angesicht des sicheren Todes seine Stärke zu beweisen. Er war der größte und mächtigste Mann der Ximbús gewesen, und so wollte er auch zu den Ahnen gehen: bis zuletzt unbesiegbar, kämpfend bis zu dem Augenblick, in dem ihn sein Körper verriet, seine Muskeln erschlafften und der zurückgeschnellte Baum ihn in die erwürgende Schlinge schleuderte.
    Ein paarmal wollte Gloria herunterklettern und ihn aus seiner fürchterlichen Lage befreien. Aber sie kam nur bis zu der Lianenleiter. Dort stand stumm, ein langes Blasrohr in der Hand, der Jüngling Xéré, schüttelte stumm den Kopf und verbaute ihr den Weg zur Erde.
    »Es ist grausam, was ihr tut«, sagte Gloria, obgleich Xéré sie nicht verstand. »Er ist klüger als ihr alle zusammen! Er weiß genau, daß ich keine weiße Sonnengöttin, sondern ein Mensch bin wie ihr. Was ihr als Zauber anseht, sind für ihn Tricks, und dafür soll er sterben? Weil er mehr

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