Eine Vampirin auf Abwegen: Argeneau Vampir 1
sagte sie: „Na ja, Greg hat meinen Vetter Thomas am Telefon erwischt, und Thomas und eine Freundin namens Mirabeau haben alles aufgeräumt.” Das war so dicht an der Wahrheit, wie es ging, dachte sie. „Mom ist glücklich, ich bin glücklich.... ” Lissianna zuckte die Achseln. „Alles ist wieder gut“ Debbie starrte ihr ins Gesicht, betrachtete forschend ihre Miene und sagte dann: „Du klingst nicht so richtig glücklich.”
Lissianna senkte den Blick, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Nein, sie war überhaupt nicht glücklich. Sie war vielleicht zufrieden und froh, aber....
„Ist es Furcht?”, fragte Debbie. „Kalte Füße? Jetzt, da es keinen Widerstand von Mom mehr gibt, hast du Gelegenheit zu eigenen Zweifeln?”
Lissianna setzte dazu an es abzustreiten, dann erkannte sie, dass das eine Lüge sein würde. Sie hatte tatsächlich Angst.
Debbie zwang sie nicht, es auszusprechen. Stattdessen sagte sie schlicht: „Es würde mich nicht wundern, wenn das so wäre. Mir ging es ganz ähnlich, bevor Jim und ich heirateten. Es war Angst, schlicht und ergreifend. Ich befürchtete, dass er unmöglich so wunderbar sein konnte, wie er zu sein schien, dass irgendetwas passieren würde, um alles zu verderben, dass mir das Herz gebrochen würde.... ” Sie seufzte tief. „Und ich hatte recht.”
Lissianna blickte sie überrascht an.
Debbie lächelte ein wenig über ihre Miene und setzte erklärend hinzu: „An dem Tag, als er starb, ist mein Herz gebrochen, und es wird nie wieder so froh sein können wie vorher.” Sie wartete einen Moment und fuhr dann fort: „Das Leben ist nicht immer leicht, Lissianna. Es ist voller schwieriger Entscheidungen und Schmerzen, und die Dinge verlaufen nicht immer so, wie wir hoffen. Es gibt nun einmal keine Garantien. Und es stimmt zwar, dass man mitunter Enttäuschung meiden kann, wenn man sich nicht mit jemandem einlässt, aber dann verpasst man vielleicht auch die besten Dinge des Lebens. Hab keine Angst zu lieben!”
Lissianna lehnte sich erschöpft zurück, als Debbie ihr Büro verließ, und hörte immer noch deren Worte in ihrem Kopf nachklingen: „Hab keine Angst zu lieben.” Es erinnerte sie an ihr Gespräch mit ihrem Onkel Lucian.
„Du glaubst, ich hätte Angst vor der Liebe?”, hatte er gefragt, und als sie nickte, hatte er gesagt: „Naja, vielleicht.... und vielleicht ist es auch wahr, class man so sein muss, um einen anderen richtig zu erkennen.”
Lissianna atmete langsam durch und gab zu, dass sie tatsächlich Angst hatte. Angst hatte sie davon abgehalten, ein „für immer” mit Greg zu diskutieren, als er nach der Verwandlung aufgewacht war, ebenso wie die beiden anderen Male, als er das Thema später noch einmal angeschnitten hatte. Sie hatte Angst, verletzt zu werden. Nicht durch Abweisung sie wusste instinktiv, dass er ihr Lebensgefährte sein wollte, und nicht etwa deshalb, weil sie ihn gewandelt hatte. Greg liebte sie. Sie spürte das jedes Mal, wenn ihre Gedanken und Gefühle sich miteinander verbanden. Sie hatte Angst vor der Zukunft und davor, was diese aus ihrer Liebe machen würde.
„Es gibt nun einmal keine Garantien im Lehen”, hatte Deb gesagt, und dasselbe galt auch für die Liebe. Niemand wusste, was die Zukunft bringen würde, aber Lissianna war ganz sicher, dass die Zeit, die sie mit Greg verbracht hatte, die wunderbarste in ihrem ein wenig mehr als zweihundert Jahre zählenden Leben gewesen war. Und sie wusste auch, dass sie nie mehr eine solch wunderbare Zeit erleben würde, wenn sie der Angst erlaubte, sich einer Zukunft mit Greg in den Weg zu stellen. Nein, es zahlte sich nicht aus, Angst vor der Liebe zu haben, dachte sie und kam zu dem Schluss, dass sie in dieser Nacht mit Greg über das „für immer” sprechen würde. Sie war bereit, das Risiko auf sich zu nehmen.
„Lissianna?”
Sie blickte erschrocken auf, als sie ihren Namen hörte, und sah Vater Joseph in der Tür stehen. „Ja, Vater?”
„Hier ist ein Herr, der Sie sprechen möchte”, verkündete der Priester, dann drehte er sich um, um jemandem mit einer Handbewegung hereinzubitten.
Sie war noch nie von jemandem im Obdachlosenheim besucht worden, und deshalb war Lissianna über diese Ankündigung ein wenig verwirrt, als Greg eintrat.
„Greg!” Sie schob ihren Schreibtischstuhl zurück und sprang auf, aber dann blieb sie stehen und versuchte, sich zu beherrschen, damit sie ihm nicht gleich um den Hals fiel, wie es ihr erster Impuls gewesen wäre.
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