Eine verboten schoene Frau
atmete Avery ein und wieder aus. „Das würde mir gefallen. Morgen?“
„Gern, dann also morgen. Ich muss am Vormittag noch bei einigen Galerien vorbeischauen. Aber wie wäre es, wenn ich nach dem Mittagessen zu dir komme?“
„Perfekt. Ich werde hier sein.“
Er wartete, bis sie die Stufen zur Eingangstür hinaufgegangen war und winkte ihr noch kurz zu, als sie sich umdrehte. Dann ließ er den Motor an und fuhr davon. Avery fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte. Würde sich das alles als ein großer Misserfolg herausstellen – oder würde er das Beste sein, was ihr seit langer, langer Zeit passiert war?
4. KAPITEL
Sie konnte die ganze Nacht lang nicht schlafen, und so war Avery erleichtert, als sich endlich die ersten Sonnenstrahlen zeigten. Sie schlüpfte in ihren Badeanzug und ging hinunter an den Pool. Ein paar Runden würden ihr einen klaren Kopf verschaffen und vielleicht auch die nervöse Anspannung aus ihrem Körper vertreiben, die sie in der Nacht wach gehalten hatte.
Was hatte sie sich bloß gedacht gestern Abend? Sie hatte nur ein Glas Wein getrunken – ein Glas! –, und doch war sie Wachs in Marcus Price Händen gewesen. Schlimmer noch, sie hatte genau das gewollt.
Sie schwamm mit kraftvollen Zügen eine Bahn, machte am anderen Ende des Pools eine elegante Wende und schwamm zurück. Wieder und wieder, bis ihre Muskeln um Gnade flehten. Und selbst dann zwang sie sich, noch vier weitere Bahnen zu schwimmen, bevor sie aus dem Wasser stieg. Sie blieb am Rande des Pools liegen und atmete heftig. Langsam kam ihr Körper zur Ruhe, aber ihre Gedanken taten ihr diesen Gefallen nicht. Sie bekam Marcus Price immer noch nicht aus dem Kopf, und sobald sie an ihn dachte, kehrte die Anspannung der letzten Nacht zurück.
Sie schnappte sich ein Handtuch und wickelte sich darin ein, bevor sie ins Schlafzimmer zurückging, um sich zu duschen und anzuziehen. In Jeans und T-Shirt eilte sie ins Atelier hinauf und suchte ihre Malutensilien zusammen. Der Tag zeigte sich klar und hell, und sie war entschlossen, das Licht auszunutzen, von dem Marcus gemeint hatte, dass es in ihrem Bild fehlte. Mrs Jackson wusste, dass sie nie frühstückte und würde ihr später Kaffee und einen Muffin bringen, und bis dahin wollte sie schon gut etwas geschafft haben.
Nach dem vergangenen trüben Tag waren Sonne und Wärme eine Wohltat, und Avery war voller Elan. Der neue Gärtner war bereits bei der Arbeit und dünnte die verblühten Rosen aus. Auch der Fortschritt, den er beim Unkrautjäten gemacht hatte, war deutlich zu sehen. Allmählich ähnelte der Garten ihres Vaters wieder seinen früheren Glanzzeiten, und darüber freute sich Avery, auch wenn ihr Vater seinen Lieblingsort nicht wirklich mit ihr geteilt hatte.
Die liebste Erinnerung an diesen Garten war ihr eine kleine, aber perfekte Engelsstatue aus Marmor. Ihr hatte sie als Kind das Herz ausgeschüttet, während ihre Mutter immer unerreichbarer wurde. Sybil Cullen hatte während ihrer Schwangerschaft die Krebsdiagnose erhalten und jede Behandlung abgelehnt, bis ihre Tochter geboren worden war. Erst dann hatte sie jede mögliche medizinische Hilfe akzeptiert. Und so waren ihr fünf Jahre mit der geliebten Tochter geblieben, und Avery verband die Statue immer mit ihrer Mutter. Ein paar Wochen nach der Beerdigung ihrer Mutter war Avery in diesen Garten gekommen, nur um zu entdecken, dass der Engel verschwunden war. Sie war völlig verzweifelt gewesen.
Ihr Vater hatte die Statue verkauft, denn offenbar erinnerte sie ihn in seiner Trauer zu sehr an seine Frau. Doch nachdem er seine untröstliche Tochter im Garten gesehen hatte, versuchte er alles, um die Statue zurückzubekommen. Aber die schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Erst kürzlich hatte Avery über ein Internetforum ein Board eingerichtet, um sie vielleicht doch noch zu finden. Sie würde jeden Preis dafür zahlen.
Seltsam wie das Leben so spielte, denn über dieses Forum hatte sie ihren neuen Gärtner gefunden. Als er sie kontaktierte, arbeitete er noch in den Staaten auf einer Ranch. Und erst nachdem sie Fotos vom Garten aus der Zeit ihrer Mutter ins Netz gestellt hatte, erwähnte er, dass er nach London kommen wollte und bot ihr an, ihr für einige Wochen mit dem Garten zu helfen.
Und sie stellte ihn ohne weitere Fragen ein. Von allem, was sie bisher gesehen hatte, konnte sie sagen, dass sein einziger Fehler wohl darin bestand, in der Welt umherzuziehen und sich nirgendwo fest niederzulassen.
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