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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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wissentlicher und endloser Dekadenz.
    Gelegentlich, bei seinen eher zufälligen Besuchen der Kirchen mit ihren kunstvollen Fresken, erhaschte Ralph einen Blick auf einen Gott, der, wenn auch vielleicht nicht weniger schrecklich, so doch zumindest prachtvoller als der Gott seiner Kindheit war.
    Ralph hatte einen Koch, zwei Gärtner, sechs Pfauen und eine hübsche Kutsche mit einem livrierten Kutscher. Hinten auf der Kutsche fuhr ein zweiter livrierter Diener mit, dessen Funktion ihm unklar war.
    Edward kannte Apotheken, in denen verschlagene Männer ihnen jede Droge und jedes Mittel verkauften, die sie wünschten, ein Pulver etwa, das sie achtundvierzig Stunden schlafen ließ, während die Sonne über dem Dom aufging und sank und wieder aufging, oder ein Pulver, mit dessen Hilfe eine Erektion über Stunden anhielt. Ralph und Edward kauften Gifte in dunkelblauen Fläschchen, die, wenn man sie in kleinen Dosen einnahm, eine Euphorie erzeugten, die Ralph noch nie erlebt hatte, eine Ekstase, die sich wie Sex in jeder einzelnen Pore seiner Haut anfühlte.
    Sein Geld floss weiterhin, ohne dass irgendwelche Vorwürfe laut wurden. Der Schrecken darüber, was mit seinem Körper geschah, wenn er seine Begierde spürte, hörte nie auf. Sein Herz verhärtete sich nie gegenüber diesem Schmerz, der Hass verlor nie seinen erbarmungslosen Pulsschlag. Dann erblickte er Emilia.
    Sie fuhr in einer glänzenden Kutsche an ihm vorbei, ein köstliches sechzehnjähriges Mädchen, das ein weißes Musselinkleid trug und in ihrem schwarzen Haar Glyzinien, die sorgfältig eingeflochten waren. Ralph ging nie wieder zum Apotheker. Er spielte nie wieder Karten, und er ließ Edward und die Huren und die Falschspieler und Trunkenbolde in große, dunkle Zimmer auf der anderen Seite des Flusses umziehen. Er war verliebt.
    Es schockierte ihn, dass er jeden Morgen mit klarem Kopf aufwachte, dass er seine Zimmer so ordentlich vorfand, wie er sie am Abend zuvor zurückgelassen hatte, dass er das köstliche toskanische Essen verzehrte, das ihm von ruhigen, dunkeläugigen Dienern serviert wurde. Er trainierte. Er nahm Box-Unterricht. Jeden Tag lernte er mehrere Stunden lang mit einem Studenten Italienisch, nur damit er mit ihr sprechen konnte. Er ritt und jagte und beschloss, die Art von Mann zu werden, die das Herz dieses Mädchens gewinnen konnte, dessen Namen er noch immer nicht kannte.
    Seine Kleider waren prächtig, seine Manieren gut, sein Elternhaus konnte man aus dieser Entfernung nicht abschätzen. Amerikaner, das musste reichen, nahm er doch an. Im Haar hatte er Brillantine, er roch nach einem Eau de Toilette von Santa Maria Novella und nach Geld aus Amerika.
    Er wurde Emilias Vater vorgestellt, dann ihrer Mutter und den gemächlichen Vergnügungen ihres Salons, in dem jeder Gegenstand von altem Luxus und ebenso alter Kultur zeugte. Zuletzt wurde ihm auch gestattet, mit Emilia selbst zu sprechen. Ralph war mit Mitte zwanzig sehr viel naiver, als diese Leute es bereits in der Wiege gewesen waren.
    Sie waren gewöhnliche Leute, anmaßend und bankrott und ehrgeizig, was ihre schöne Tochter anbelangte, und Ralph sah in ihnen mehr, als sie waren. Er verkannte, dass die meisten italienischen Familien bei Bedarf irgendeinen Titel auf dem Dachboden ausgraben konnten. Er bemerkte nicht, dass sie kein Geld hatten, dass ihre Diener nicht entlohnt und wütende Schneider aus der Hintertür gescheucht wurden, wenn er durch die vordere Tür trat. Er merkte nicht, dass ihre Tochter ihr einziges Gut war, aus dem sie überhaupt noch Kapital schlagen konnten.
    Er sah nur eine überwältigende Schönheit vor sich, deren Stimme reine Musik und deren Benehmen reine Poesie waren. Sein Italienisch war, nach all seinen Unterrichtsstunden, bloß die Sprache eines Kindes. Emilia sprach gut Französisch und ein eher komisches Englisch, und sie wurde rot wie der Morgen, als er versuchte, ihr in die Augen zu sehen. Monatelang war sie bloß lieb und charmant und immer gerade außer Reichweite, wie der Pfirsich ganz oben im Baum.
    Er flüsterte ihren Namen vor sich hin, während er am Arno spazieren ging. Es bereitete ihm körperliche Schmerzen, von ihr getrennt zu sein, als ob seine Nerven brannten. Ihre Gesellschaft war die einzige Umgebung, in der er seinen Charakter annehmbar fand. Für ihre Liebe zündete er Kerzen an. Er betete für ein Wunder. Dann endlich begriff

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