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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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immer fort war, dass sie in Reichweite gewesen und ihr wieder gen Verzweiflung und Tod entglitten war, legte sie sich auf ihr Bett im Hotel und weinte zwei Tage lang. Sie war völlig aufgelöst vor Kummer. Sie trug die schlichten, strengen Kleider, die sie aus Wisconsin mitgebracht hatte. Die Zimmermädchen brachten ihr Brühe und machten sich Sorgen um sie, fragten, ob sie krank sei, wechselten ihr die Laken, ließen nachmittags ein heißes Bad für sie ein und schüttelten ihre zerdrückten Kissen auf. Sie fütterten den Vogel.
    Alice war ihr Kind gewesen, ihr Liebling. Sie hatte einen Teil ihres Lebens in der Hoffnung gelebt, dass die Dinge für sie anders sein würden, dass sie einen netten Mann und ein kleines Haus haben würde, etwas Normales, nichts Großartiges, und dass sie fleißig und mütterlich wäre. Sie war darauf vorbereitet gewesen, sie nicht mehr wiederzusehen, sie war darauf vorbereitet gewesen, dass ihre jeweiligen Leben auf eine nicht mehr umkehrbare Weise unterschiedlich sein würden, aber so hatte sie es sich nie vorgestellt.
    Sie ging in die Kirche. Sie wusste nicht, wie man betet, und sie bat einen der Priester, ihr zu helfen. Sie kniete sich hin, ihr Gesicht war blass, und sie bat um Vergebung, sie bat um einen Grund, weiterzumachen, und es stellte sich keiner ein. Gott schwieg, wie er es immer getan hatte. Keine Engel kamen herab, kein kindlicher Jesus mit honiggelbem Haar, keine Stimmen trösteten sie, kein Wunder brachte sie ins Leben zurück. Sie war tot, so tot, wie Alice es bald sein würde.
    Der Priester segnete sie, vergab ihr ihre Sünden und machte auf ihrer Stirn das Kreuzzeichen. Sie schämte sich, ihm sagen zu müssen, dass sie nicht verstand, was er da tat, dass diese Handlungen für sie bedeutungslos waren.
    Manchmal schlief sie tagelang nicht. Manchmal schlief sie von morgens bis abends. Wenn sie zu Bett ging, wusste sie nie, ob es dunkel oder hell sein würde, wenn sie wieder aufwachte.
    Wenn es dunkel war, ging sie zu Antonio. Wenn es hell war, saß sie in ihrem Zimmer, während die Zimmermädchen kamen und wieder gingen, las die Gedichte, die ihr Mann ihr mitgegeben hatte, dieses lange Liebesgedicht auf unseren ganzen Planeten, und träumte von dem Garten, den sie anlegen würde, wenn der Frühling kam.
    Sie schrieb Truitt einen Brief und erklärte ihm, dass sie nach Hause käme, und sie blieb absichtlich im Vagen darüber, ob sie Antonio mitbringen würde. Sie schrieb ihm, sie hoffe, dass sein Sohn mit ihr käme und dass er sich ihrem Standpunkt immer mehr anzunähern schiene. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie so lange fortgeblieben sei. Sie hoffte, er sei bei guter Gesundheit, und fragte nach Mrs. Larsen. Sie sagte, sie hätte in Saint Louis nichts gegessen, das auch nur halb so gut gewesen sei wie Mrs. Larsens Küche, was, jedenfalls in gewisser Weise, auch wirklich stimmte. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Leben, ihr altes Leben, vor ihren Augen in Flammen aufgehen. Dann schrieb sie an Truitt und bat ihn, den Eisenbahnwaggon loszuschicken.
    Als der Waggon im Bahnhof wartete, machte sie ein letztes Mal ihren Gang durch die Dämmerung zu Tony Moretti. Die kalte Luft hatte das Schneidende eingebüßt. Dem Winter war das Rückgrat gebrochen.
    Sie klopfte an Tonys Tür und entdeckte, dass sie zitterte, vor alter, vertrauter Wut zitterte. Wo blieb das Wunder? Warum war sie immer auf dem Drahtseil, warum hing sie immer in der Luft zwischen Anfang und Ende?
    Er war geschmeidig wie ein Tiger, bereit für seine Nacht. Er verabscheute sie. Er bedauerte sie. Er brauchte sie. Er war von ihrer Ruhe beeindruckt, von der Schlichtheit ihrer Schönheit, die er so noch gar nicht bemerkt hatte. Aber sie sah aus, als wäre sie von etwas erfüllt, etwas Neuem.
    Â»Ich bin gekommen, um dir etwas zu sagen. Dich um etwas zu bitten.«
    Â»Komm besser rein. Wenigstens das.«
    Es war so einfach, und sie wusste nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Er war für sie in ihrem Leben am ehesten das, was man ihren Liebling nennen könnte, und sie verspürte immer noch die alte Zuneigung zu ihm. Sie erblickte den offenen Schrank, in dem immer noch ihre unnütze, prachtvolle Garderobe hing, die Hüte und Taschen, die extravaganten Kleider, und sie wirkten auf sie wie Dinge, die sie vor sehr, sehr langer Zeit einmal getragen hatte. In einem anderen Leben, das sie nun verloren

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