Eine verlaessliche Frau
damit wir in Ruhe reden können.« Sie blickte die Reihe von Baracken an, Schuppen, in denen Kerzen in der späten Dunkelheit ausbrannten. »Welche ist es?«
»Was auch immer gerade leer ist. Ich will dich hier nicht.« Sie zählte ihr Geld. »Irgendein reicher Mann, nehme ich an.«
»Ja. Er ist reich.«
»Hier drin.« Alice verschwand in einer leeren Baracke, nicht mehr als ein paar Bretter, die vor einer Wand aufgestellt waren. Catherine duckte sich und folgte ihr nach drinnen. Alice griff in ihre Tasche, holte eine Kerze für zwei Pennys heraus, die sie in einer Kirche gestohlen hatte, und zündete sie mit zitternder Hand an. »Da. Mein Zuhause.«
Im flackernden Licht sah Aliceâ Gesicht wieder mädchenhaft aus, weicher, golden. Die Haut über ihren Wangen saà so straff wie bei jemandem, der sterben wird. Es war egal, woran.
Catherine dachte an die süÃen Kleider, die sie genäht hatte, die Smokearbeit, die Spitze und die langen Faltensäume. Sie dachte an die Hausaufgaben, an Aliceâ hübsche und sorgfältige Schönschrift, an die bezaubernden Zimmer in Philadelphia. Sie dachte an den kleinen Hund im Gramercy Park. Alles verloren. Man verlor so viel in dieser Welt.
»Ich besorge dir Ãrzte. Ich nehme dich mit nach Hause und â¦Â«
»Oh. Ein Zuhause. Ich wette, du hast eine Menge Geld in der Handtasche.«
»Ich gebe dir was. Ich gebe dir alles, wenn du mit mir kommst.«
Alice lehnte sich an die Barackenwand und rollte sich eine Zigarette. Ihre Hände zitterten in der Kälte. Sie zündete sich die Zigarette an und sah Catherine ins Gesicht. »WeiÃt du, ich komme mir so faul vor. Ich arbeite die ganze Zeit so hart, und ich werde nicht müde, ich kann nachts nicht schlafen, aber ich komme mir faul vor. Als könnte man alles mit mir machen, und ich wäre nur zu faul, um mich drum zu scheren. Aber ich kann nicht mit dir mitkommen. Ich weià nicht, wo das ist, aber ich weiÃ, es ist zu weit weg.«
»Ich nehme dich mit in den Zug.«
Ihr Gesicht verhärtete sich wieder. Es war nur ein Aufflackern, ihre Hoffnung, und dann erlosch sie wieder. Ihre Zigarette glühte in der Dunkelheit. »Catherine. Versuch doch mal, etwas zu verstehen. Ich habe dich nie gemocht. Ich habe es dir schon einmal gesagt. Ich sagâs dir jetzt. Nie.«
»Ich â¦Â«
»Du könntest mich mitnehmen, mich nach Paris mitnehmen, in irgendeinen Kurort weit weg, und ich wäre immer noch schlecht.«
»Es gab nie einen Augenblick, in dem ich dich nicht geliebt habe.«
»Wie ein kleines Babypüppchen.«
»Du warst alles, was ich auf der Welt hatte. Alles, was ich geliebt habe. Ich wollte, dass die Dinge besser für dich sind. Schöner.«
Die Kerze ging flackernd aus. Abgesehen von Aliceâ glühender Zigarettenspitze saÃen sie in völliger Dunkelheit. Catherine wollte die Hand nach ihr ausstrecken, tat es aber nicht. »Gibt es denn nichts, was ich für dich tun kann?«
Alice zögerte, dann griff sie nach Catherines Hand und streichelte Catherines seidige Haut mit ihren eigenen rauen, schmutzigen Fingern.
»Bleib sitzen. Es tut mir leid. Ich bin schlecht und krank und sage schlimme Dinge. Aber bleib einfach bei mir sitzen. Ich bin niemals allein, aber ich fühle mich immer so einsam. So weit entfernt von allen anderen. Keiner hält mich. Keiner berührt mich oder ruft meinen Namen, bleib bei mir sitzen, bis ich einschlafe. Das ist alles, was ich brauche, alles, was du tun sollst. Bitte.«
»Kann ich dich nicht irgendwo hinbringen? Hier weg? In ein Hotel? Ein heiÃes Bad? Saubere Laken?«
»WeiÃt du, es ist komisch. Selbst wenn es mir gut ginge und ich sauber wäre und einen Hut trüge und ein schönes Seidenkleid, ich würde hier nicht weg wollen. Das hier ist genau wie mein Leben. Ich habe schlieÃlich den Ort gefunden, wo ich hingehöre.«
Catherine stand auf, zog ihren schönen Pelzmantel aus und legte ihn über ihre Schwester.
»Das ist lieb«, sagte Alice. »Du hast immer auf mich aufgepasst.«
»Ich habe es versucht.«
»Du warst so gut zu mir. Ich habe es nicht verdient.«
»Du warst alles, was ich hatte. Ich habe versucht, dich vor dem Elend zu bewahren.«
»Man kann niemanden retten. Das solltest du inzwischen wissen.«
Alice schloss die Augen und glättete das Fell vom Pelzmantel ihrer
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