Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
riechen zu müssen, und breitete ihn über Kopf und Schultern.
Sie legte den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund und fing ein paar der Regentropfen auf, die erste saubere Flüssigkeit, die sie seit vierundzwanzig Stunden zu trinken bekam.
Hatte schon jemand sie vermisst? Hatten ihre Verkäuferinnen in der Boutique sie zu erreichen versucht? Waren sie zu ihr gefahren, nachdem sie immer nur den Anrufbeantworter erreicht hatten? Sie würden nichts Auffälliges bemerken. Niemand war bei ihr eingebrochen. Ihr Auto stand nicht da. Sie war aus freien Stücken gegangen.
Wie war sie nur in diese schreckliche Lage geraten? Sie war kein schlechter Mensch. Sie und Marissa hatten etwas Gutes tun wollen. Vielleicht war Marissas Methode fragwürdig gewesen, aber sie hatte Gründe dafür gehabt. Und sie hatte dabei nur an Haley gedacht. Dass sie beide auch davon profitierten, war nicht beabsichtigt gewesen, in erster Linie ging es ihnen um Haley.
Wie konnte etwas so Gutes ein so schlechtes Ende nehmen? Aber passierte das überhaupt alles?, fragte sich Gina. Vielleicht verlor sie ja den Verstand. Vielleicht halluzinierte sie. Woher sollte sie den Unterschied kennen?
Ich weiß nicht, was ich tun soll, M.
Du musst aus diesem Loch raus, G.
Geh nicht weg.
Das habe ich auch nicht vor.
Ich bin nicht so mutig wie du.
Du wirst den nötigen Mut schon aufbringen.
51
An dem Abend, als es passiert war, hatte sie ferngesehen. Nicht, um einen Film anzuschauen, sondern um die Liveberichterstattung über die Geiselnahme im Büro des Sheriffs zu verfolgen. Dennis Farmans Vater hatte Cal Dixon eine Waffe an den Kopf gehalten. Vince hatte versucht, ihn zum Aufgeben zu überreden. So wie es angefangen hatte, endete es auch: mit Gewalt.
Zu dem Zeitpunkt wusste Anne nicht, ob Vince überlebt hatte. Sie hatte sich abzulenken versucht, indem sie das kleine Geschenk auspackte, das ihr Tommy Crane kurz zuvor überreicht hatte – eine Kette.
Eine Kette, die nur von einem Mordopfer stammen konnte.
Und dann war Peter Crane gekommen, zu ihr nach Hause, freundlich und höflich wie immer. Ob sie das Geschenk schon ausgepackt habe? Es täte ihm furchtbar leid. Ein Missverständnis. Er bräuchte es zurück. Es sei ein Versehen. Der Inhalt gehöre seiner Frau. Anne sagte, das mache nichts. Überhaupt kein Problem. Sie müsse nur in die Küche, um es zu holen – eine Lüge, stattdessen würde sie durch die Hintertür verschwinden und um ihr Leben rennen.
Sie schaffte es nicht bis zur Tür. Peter Crane erwischte sie an den Haaren und …
Das Herz schlug Anne bis zum Hals, als sie sich nach Luft schnappend im Bett aufsetzte. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, und Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie war schweißnass.
In einer Ecke des Raums brannte ein Licht. Nur ein schwacher, warmer Schein, der die Nacht und den schwarzen Mann, der mit der Dunkelheit kam, vertreiben sollte.
Sie war zu Hause. In Sicherheit. Sie war im Gästezimmer, das sie für Haley ausgewählt hatte. Sie war in Sicherheit. Die ruhig schlafende Haley war in Sicherheit.
Du bist in Sicherheit. Wir sind in Sicherheit. Alles ist gut. Immer wieder sagte sie sich die Worte vor.
Wenn nur ihr Mann da wäre, seinen starken, warmen Arm um sie legen und ihr diese Worte ins Ohr flüstern würde, während er sie festhielt. Aber Vince war zu einer Besprechung ins Büro des Sheriffs gefahren. Sie hatte ihm nicht einmal etwas kochen können. Er hatte Pizza für sich und die anderen bestellt.
Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttischchen. Es war kurz vor halb elf. Nicht besonders spät. Vince würde bald nach Hause kommen – wenn er nicht bereits da war. Er störte sie nie, wenn sie schon schlief, vor allem weil er ihr keinen Schreck einjagen wollte.
Auch ohne Vince hatten sich Anne und Haley den geplanten gemütlichen Abend gemacht. Nach dem Baden hatte Haley ihren Regina-Regenbogen-Schlafanzug angezogen, und sie hatten sich in Haleys Bett aneinandergekuschelt, während Anne ihr vorlas.
Als Haley schlief, war Anne ihre Psychologiebücher durchgegangen auf der Suche nach etwas über Kinder als Zeugen von Verbrechen – sie fand nichts – und über traumatische Erfahrungen bei Kindern – dazu fand sie praktisch auch nichts. Schließlich hatte sie die Leselampe ausgeknipst und war eingeschlafen, den Bücherstapel neben dem Kopfkissen.
Jetzt stand sie auf und zupfte an ihrem verschwitzten T-Shirt. Der Adrenalinstoß war vorbei und hinterließ ein allzu bekanntes,
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