Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
noch einen Schritt zurückzuweichen. In seinen Augen blitzte so etwas wie Befriedigung auf. »Glaubst du, dass ich mit Marissa zusammen war?«, fragte er leise. »Glaubst du, dass ich siebenundvierzig Mal auf sie eingestochen und ihr die Kehle durchgeschnitten habe?«
»Hör auf!«, wiederholte sie und sah ihm ins Gesicht, ohne ihn zu erkennen. Dieser Mann war für sie ein Fremder, von dem sie nicht wusste, was er als Nächstes tun würde.
»Warum?«, fragte er, ihre Furcht genießend. »Mache ich dir Angst? Glaubst du wirklich, dass ich so etwas tun könnte?«
Sara versuchte, einen Schritt zur Seite zu machen, um ihm zu entkommen. Er packte ihren Arm und hielt sein Gesicht dicht vor ihres.
»Antworte mir! Antworte mir! Hältst du mich für einen Mörder? Tust du das?«
» HÖR AUF !! HÖR AUF !!«, schrie Wendy.
Steve wich überrascht zurück, als Wendy sich auf ihn stürzte und mit beiden Fäusten auf ihn einschlug.
» HÖR AUF ! HÖR AUF ! ICH HASSE DICH! ICH HASSE DICH !«
»Wendy!« Steve hielt sie fest, und sie schlug und trat um sich, wollte sich seinem Griff entziehen.
»Lass mich los! Ich hasse dich!«
»Sag nicht so was!«
Er kniete sich hin und wollte sie an sich ziehen. Bei ihrem neuerlichen Versuch, sich ihm zu entwinden, traf sie mit ihrem Ellbogen seine gebrochene Nase.
Steve schwankte und sackte zusammen, die Hände ans Gesicht gepresst. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor und tropfte auf den Teppich.
Sara fing ihre Tochter auf, als diese sich schluchzend in ihre Arme warf.
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, sagte Sara, als der Mann, der einmal ihr Ehemann gewesen war, mit Tränen in den Augen zu ihr hochblickte. »Verschwinde. Verschwinde, bevor ich den Sheriff rufe.«
Und das war das Ende des Märchens.
54
Die tintige Schwärze der Nacht wich einem dunklen Grau. Es regnete weiter.
Unter ihrem Müllsack war Gina nass bis auf die Knochen und fror. Die ganze Nacht hatte sie zitternd dagelegen und war immer wieder weggedämmert. Jedes Mal, wenn sie nachgeben und sich einem tiefen Schlaf überlassen wollte, hatte Marissas Stimme sie wieder aufgeweckt.
Bleib wach, bleib am Leben!
Gina hatte eine Latte aus den Holzabfällen gezogen und hielt sie fest in der Hand, um damit die Ratten und Mäuse zu verjagen, die vom Geruch ihres Bluts, ihrer Angst angelockt wurden.
Immer wieder hatte sie sich bei dem Gedanken ertappt, dass das alles nicht wirklich geschah. Es konnte nicht sein, dass Marissa tot war. Und es konnte nicht sein, dass jemand, den sie als Freund betrachtete, sie in diese Situation gebracht hatte. Gut, sie hatte eine Drohung ausgesprochen, aber das hatte sie doch nicht ernst gemeint. Sie war außer sich gewesen. Ein wahrer Freund hätte das erkannt. Ein wahrer Freund hätte nicht auf sie geschossen und sie für tot liegen lassen, nur weil sie etwas Dummes gesagt hatte.
Sie war so müde. Sie wusste, dass sie in Gefahr war zu sterben. Ihr Körper produzierte nicht genug Wärme, und dazu kam noch der kalte Regen. Der Flüssigkeitsmangel gab ihr den Rest.
Ihr Körper brauchte Energie. Sie hatte seit – wie lange? – seit drei Tagen nichts mehr gegessen. Sobald es in dem Brunnenschacht hell genug war, durchsuchte sie das Zeug, das aus dem Müllsack gefallen war. Sie suchte nach irgendetwas Essbarem, etwas, das nicht verrottet oder verfault war.
Mithilfe der Latte zog sie eine zerknitterte Chipstüte zu sich heran und fand darin eine Handvoll Chips und Krümel. Sie waren durchgeweicht und muffig, aber es waren immerhin Kalorien, und das Salz schmeckte gut. Im Geist dankte sie den Teenagern, die an diesem gottverlassenen Ort Partys feierten.
Im Lauf der nächsten Stunde wurde Gina immer geschickter, angelte sich mit der Latte ein halbes, noch eingewickeltes Snickers und eine McDonald’s-Tüte mit ein paar Pommes, einem Päckchen Ketchup und dem vertrockneten Rand eines nicht aufgegessenen Hamburgers. Sie aß alles und betete, dass sie es bei sich behalten würde.
Wenn ich genug Kraft sammeln kann …
Du musst, G. Du schaffst es.
Wenn ich aufstehen kann …
Steh auf! Denk nicht darüber nach. Steh auf!
Ich versuch’s ja!
Nein, tust du nicht!
Halt die Klappe!
»Halt die Klappe!«
Der Klang ihrer Stimme ließ sie zusammenzucken, und sie merkte, dass sie erneut weggedämmert war. Mittlerweile machte sie sich keine Sorgen mehr, weil sie halluzinierte. Halluzinationen mochten bedenklich sein, aber so hatte sie wenigstens Gesellschaft – selbst wenn die Stimme
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