Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
nur in ihrem Kopf existierte.
Das salzige Junkfood hatte sie durstig gemacht. Sie fand eine Wasserflasche mit einem Fingerbreit schmutzigem Wasser darin. Einen Zipfel ihres T-Shirts als Filter benutzend, trank sie es, der Geschmack ließ sie das Gesicht verziehen, und sie musste gegen den Würgereiz ankämpfen.
Eine Ratte lief über ihre Füße und verschwand in der leeren McDonald’s-Tüte, so dass nur noch ihr langer, nackter Schwanz heraussah. Mit einem Aufschrei fuhr Gina zurück. Sofort explodierte der Schmerz in ihrem gebrochenen Knöchel und raste wie eine Stichflamme durch ihr Bein. Sie schlug mit der Latte nach der Tüte, und mit einem Quieken flitzte die Ratte aus der Tüte, sprang auf die dicke Wurzel und huschte in den Riss in der Mauer.
Gina fluchte – verfluchte die Ratte, ihre Situation. Aber rasch wurde ihr klar, dass ihr die Ratte einen Gefallen getan hatte. Durch ihre Adern rauschte Adrenalin, versorgte sie mit Energie, dämpfte den Schmerz.
Sie blickte nach rechts, zu den eisernen Sprossen, die in die Mauer zementiert waren. Der einzige Fluchtweg aus diesem Loch. Sie blickte zu der Klappe über ihr. Es waren bestimmt acht Meter bis dorthin. In der Horizontale wäre das nicht besonders viel, aber hier ging es senkrecht in die Höhe, dreimal so hoch wie eine normale Haushaltsleiter.
Gina konnte einen Arm und ein Bein benutzen. Ihr linker Arm hing nutzlos an ihr herunter. Ihr rechter Knöchel war so übel gebrochen, dass der Fuß im rechten Winkel zum Schienbein nach innen gedreht war.
Du musst es tun, Gina.
Ich weiß.
Du musst es jetzt tun.
Ich weiß. Ich weiß. ICH WEISS !
Werd wütend!
ICH BIN WÜTEND !!!
Wie zum Beweis drehte Gina den Oberkörper nach rechts, bekam die erste Sprosse zu fassen und zog mit aller Kraft, während ein Schrei aus Wut, Schmerz und Verzweiflung aus ihrer Kehle drang.
Sie bewegte sich ein paar Zentimeter. Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie nahm einen tiefen Atemzug, der in ihrer Schulter und ihrem Brustkorb brannte, und zog erneut. Sie schwang ihr linkes Bein zur Seite und stieß sich mit den Zehenspitzen von der Mauer ab, schob sich noch ein paar Zentimeter näher zu der Sprosse.
Insgesamt hatte sie sich einen guten halben Meter bewegt. Erschöpft ließ sie die rostige Sprosse los und sank gegen die verdreckte Mauer, stieß sich den Kopf an der zweiten Sprosse an. Sie war schweißüberströmt und völlig erschöpft. Überall an ihrem Körper zuckten einzelne Muskeln unkontrolliert.
Und sie hatte noch acht Meter vor sich, senkrecht nach oben.
55
Mendez stand mit in die Hüften gestemmten Händen in der Straßenmitte und betrachtete die Bremsspuren. Es regnete immer noch, aber wenigstens hatte sich der Sturm im Laufe der Nacht ausgetobt und an Kraft verloren.
»Sieht nach nur einem Auto aus«, sagte Vince. »Ziemlich lange Bremsspur.«
»Sie hatte eindeutig einen Unfall«, sagte Mendez. »Das bezweifelt niemand. Die Frage ist nur, warum?«
»Wo ist ihr Auto?«
Milo Bordains Auto war weggebracht worden, aber man konnte noch die Spuren sehen, wo sich die Reifen ins Straßenbankett gegraben hatten.
Mendez grinste ihn an. »Ich bin sicher, Mrs Bordain hat es abholen lassen, damit nicht irgendein dahergelaufener Mexikaner es klaut.«
»Anwesende mal ausgenommen«, witzelte Vince, »wer könnte ein Interesse daran haben, ihr Schaden zuzufügen?«
»Das ist es ja. Sie mag eine Nervensäge sein, aber das ist kaum ein Motiv für einen Mord – oder um ihr mit der Post abgeschnittene Körperteile zu schicken.
Sie hat gestern mit ihrem Mann und ihrem Sohn im Barron’s zu Abend gegessen. Zum Essen hat sie zwei Gläser Wein getrunken …«
»Hat man sie blasen lassen?«
»Der Deputy, der als Erster am Unfallort eintraf, hat es versucht, aber sie hat sich geweigert.«
»Haben sie ihr im Krankenhaus Blut abgenommen?«
»Meines Wissens liegt uns noch kein Ergebnis vor«, sagte Mendez. »Sie will mit niemandem außer Cal sprechen. Mir kann’s nur recht sein. Gestern Abend hat er nichts von dem Bluttest gesagt.«
»Jedenfalls wissen wir, dass sie eine gewisse Menge intus hatte«, sagte Vince.
»Ja. Aber sie wirkte nüchtern, wenn du mich fragst. Sie hat nicht gelallt, und ihre Augen waren nicht glasig. Allerdings war sie ziemlich aufgeregt und penetrant, was den Unfallhergang betrifft.«
»Und der Filius?«, erkundigte sich Vince.
»Tauchte brav in der Notaufnahme auf. Er machte nicht den Eindruck, als hätte er kurz zuvor versucht, seine Mutter von
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