Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
einem Bekannten den Rücken zuzukehren, und erst recht einem Fremden. Wissen Sie, wie es ist, wenn man aus heiterem Himmel solche Angst hat, dass man denkt, man müsste sich übergeben? Ich weiß es. Ich habe es erlebt. Ich weiß genau, was Haley bevorsteht. Ich kann diesem Kind in einer Weise helfen wie sonst niemand hier.«
»Haben Sie sich das wirklich gut überlegt, Anne?«, fragte Willa Norwood. »Sie wissen, es ist nicht üblich, dass einer unserer Rechtsbeistände seinen Schützling mit zu sich nach Hause nimmt. Das hat seinen guten Grund. Ich möchte nicht, dass Sie sich selbst in Gefahr bringen.«
»Mein Mann war Detective bei der Chicagoer Polizei, und er ist ehemaliger FBI -Agent. Unser halber Freundeskreis besteht aus Polizisten. Wer auch immer sich gegen uns wendet, hat sämtliche Cops des County auf dem Hals.«
»Das ist nicht die einzige Gefahr, von der ich rede.«
Anne wusste, dass sie die Gefahr meinte, eine zu enge Bindung könnte entstehen. Sie hatte jedoch längst beschlossen, diese Gefahr zu ignorieren.
Der Richter wandte sich an Vince. »Wie steht es mit Ihnen, Mr Leone? Sie haben bislang kein Wort gesagt. Wie ist Ihre Meinung?«
Anne hielt die Luft an. Vince war schon dagegen, dass sie sich in den Fall auch nur einmischte, dass sie das Mädchen nun bei sich zu Hause aufnehmen könnten, war eine Wendung, die ihm ganz sicher nicht gefiel.
Er sah zu ihr und sagte: »Sie wollen meine ehrliche Meinung hören? Dann sage ich Ihnen …, dass es niemanden gibt, der diesem Kind besser helfen könnte als meine Frau.«
Anne atmete hörbar aus, Tränen stiegen ihr in die Augen. Vince drückte ihre Hand.
Der Richter nickte, stützte die Hände auf den Tisch und erhob sich von seinem Stuhl. »Dann ist das, was mich betrifft, nur noch reine Formsache. Das Kind kommt in die Obhut von Anne Leone. Sobald das Mädchen das Krankenhaus verlassen kann, nehmen die Leones sie zu sich. Wir werden uns des Falls erneut annehmen, wenn ein Verwandter auf der Bildfläche erscheint.«
25
»Rate mal, wer heute Abend babysitten wird«, sagte Vince.
Mendez verzog das Gesicht. »Ich melde mich freiwillig. Ich weiß, dass du sauer bist, und kann es dir nicht mal verdenken.«
Sie hatten sich vor dem Büro des Sheriffs getroffen und fuhren jetzt durch ein schmuckes Viertel in der Nähe des College, eine teure Gegend, wie Vince wusste. Alte Bäume säumten die Straßen. Die ganz unterschiedlichen kleinen und großen Häuser aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren waren allesamt für die Ewigkeit gebaut. Das Haus, in dem er und Anne sich niedergelassen hatten, befand sich nur ein paar Straßen weiter.
Vince seufzte. »Ich habe mich damit abgefunden. Ich versuche, es unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Vielleicht ist es für Anne am Ende sogar gut.«
»Wenn es so sein sollte, krieg ich dann ein Lob?«
»Jetzt werd nicht gleich unverschämt. Am liebsten würde ich dir immer noch die Ohren langziehen.«
»Das hast du heute Morgen schon getan«, erklärte Mendez.
Vince lachte. »Findest du, ich war zu hart zu dir?«
»Du hast mich wie einen Deppen dastehen lassen.«
»Du hättest dich eben besser vorbereiten sollen. Wenn man beim FBI einen Fall vorträgt, hat man seine Argumente und Fakten parat.«
»Dann war das also bloß zu meinem Besten, damit ich etwas lerne?«, fragte Mendez, ohne auch nur so zu tun, als glaubte er das.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Vince grinsend. »Ich war sauer. Ich wollte dir eins reinwürgen.«
»Dann sind wir jetzt also quitt.«
Vince zog eine Pillendose aus seiner Jackentasche und schüttete eine bunte Mischung Tabletten in seine Hand. Eine gegen die Schmerzen, eine gegen die Übelkeit, ein Antidepressivum …
»Du hättest sehen sollen, wie tapfer sie es mit dem Drachen vom Jugendamt aufgenommen hat«, sagte er stolz. »Sie lässt sich nicht unterkriegen und hat eine Menge Mumm.«
»Stimmt, ich würde mich auch nur im Notfall mit ihr anlegen«, sagte Mendez. »Letztes Jahr hat sie mir gegenüber ein paarmal die Krallen ausgefahren, als es um ihre Schüler ging.«
»Von mir lässt sie sich auch nichts sagen.« Vince wurde von Liebe zu seiner jungen Frau durchflutet.
»Du hast echt Schwein mit ihr«, sagte Mendez. »Man muss sich nur mal ansehen, wie es um die Institution der Ehe heutzutage steht. Die Leute wollen keine Verpflichtung mehr eingehen.«
»Glaubst du wirklich, dass Steve Morgan ein Verhältnis mit dem Opfer hatte?«
»Aus dem Bauch heraus würde ich
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