Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
sie vorzuwarnen.
Sie drehte sich um, und sie folgten ihr ins Haus.
»Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie nicht mehr am Leben ist«, sagte sie und setzte sich in einen mit Chintz bezogenen Polstersessel. Ihre Hand zitterte, als sie sich mit einem Papiertaschentuch die Augen abtupfte. »Ermordet. Wie furchtbar. Ich habe gehört, dass jemand hundert Mal auf sie eingestochen hat! Ist das wahr?«
Sie hatte Angst, gerade als glaubte sie, sie wäre als Nächste dran. Das war das einzig Gute an Morden: Sie waren nicht ansteckend, dachte Vince.
»Ja, sie wurde erstochen«, sagte Mendez.
»Sie haben ein bezauberndes Haus.« Auf der Suche nach Fotos blickte Vince sich um. Auf dem Tischchen hinter dem Sofa standen zwei gerahmte Fotos von Gina Kemmer und Marissa Fordham – ein neueres und ein älteres.
»Danke«, murmelte sie.
»Gehört es Ihnen, oder haben Sie es gemietet?«
»Gemietet.«
»Kümmern Sie sich selbst um den Garten?«
»Ja.«
»Da haben Sie aber wirklich einen grünen Daumen«, sagte Vince lächelnd und setzte sich auf das Sofa.
Sie erwiderte sein Lächeln kurz, dann blickte sie zu Boden. »Danke.«
»Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihre Freundin verloren haben«, sagte er ernst. »Man kann sich nicht vorstellen, dass so etwas jemandem passiert, den man kennt. Morde gibt es nur in den Zeitungen und im Fernsehen.«
»Ja«, sagte sie. »Ich komme mir vor wie in einem Albtraum, nur dass ich wach bin. Dass sie auf diese Weise sterben musste! Sie hat doch nichts getan, um das zu verdienen.«
»Das ist wahr«, sagte Mendez. »Niemand verdient es, so zu sterben.«
»Es ist schrecklich«, sagte Vince. »Sterben kann man nur einmal, aber die Hinterbliebenen müssen Tag für Tag mit dem Verlust leben.«
Gina nickte und schnäuzte sich in ihr zusammengeknülltes Taschentuch.
»Sie haben bestimmt viele schöne Erinnerungen an sie.«
»Ja.«
Auf dem Couchtisch lagen Fotos verstreut. Vince nahm eins von Gina Kemmer und Marissa und Haley Fordham – die damals um die zwei Jahre alt gewesen sein dürfte – in die Hand. Die drei bauten lachend und fröhlich am Strand eine Sandburg. Dann legte er es wieder hin und nahm ein älteres Foto von zwei Frauen in Bikinis und mit großen Sonnenhüten an einem anderen Strand.
»Seit wann waren Sie und Marissa miteinander befreundet, Gina? Ich darf Sie doch Gina nennen?«
Sie nickte.
»Sind Sie und Marissa miteinander aufgewachsen?«, fragte Mendez.
»Nein«, sagte sie und senkte den Blick. »Wir haben uns erst hier kennengelernt. Es scheint mir fast eine Ewigkeit her zu sein. Wir fühlten uns von Anfang an wie Schwestern, so als würden wir uns schon immer kennen.«
»Woher stammen Sie?«, fragte Vince.
»L.A.«
»Aus der großen Stadt.«
»Ja.«
»Die Luftverschmutzung, der Verkehr. Braucht kein Mensch, was?«
Sie nickte.
»Und woher stammte Marissa?«
»Von der Ostküste.«
»Hat sie jemals über ihre Familie gesprochen?«, fragte Mendez. »Wir suchen sie, um sie über Marissas Tod zu informieren.«
»Nein, sie hat nie über ihre Familie gesprochen.«
»Das ist seltsam. Ich rede oft von meiner Familie und wenn auch nur, um über sie zu schimpfen. Sie nicht? Ich glaube, das tun die meisten Leute.«
»Sie haben sich zerstritten.«
»Muss ein schlimmer Streit gewesen sein.«
»Ja, das war es wohl.«
»Wenn Marissa nicht einmal Ihnen davon erzählt hat, ihrer besten Freundin, muss es ein sehr schlimmer Streit gewesen sein.«
Gina Kemmer sagte nichts. Bisher hatte sie keinem von ihnen länger als ein, zwei Sekunden in die Augen geblickt.
»Warum ist sie nach Oak Knoll gezogen? Warum nicht nach Santa Barbara? Monterey? San Francisco? Das sind alles Städte mit einer lebendigen Kunstszene. Warum Oak Knoll? Wir sind hier ein bisschen ab vom Schuss.«
»Es gefiel ihr hier. Sie hat vor Jahren mal die Kunstmesse im Herbst besucht. Diese Messe hat einen sehr guten Ruf, müssen Sie wissen. Künstler aus dem ganzen Land kommen nach Oak Knoll. Sie kam also her, es gefiel ihr und sie blieb.«
»Eine spontane Entscheidung.«
»Ja, so war Marissa.«
»Wann war das?«
»Im September 1982.«
»Wie alt war Haley da?«
»Warten Sie … Vier Monate. Sie hat im Mai Geburtstag.«
»Wissen Sie zufällig, wo Haley geboren ist?«
»Nein.«
»Wir suchen noch ihre Geburtsurkunde«, erklärte Mendez. »Haben Sie eine Idee, wo Marissa sie aufbewahrt haben könnte?«
»Nein.«
»Eigentlich suchen wir Haleys Vater«, sagte Vince. »Wissen Sie, wer er
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