Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
Vor Anstrengung zitterte sie am ganzen Leib.
Scheiße, Marissa. Das ist alles deine Schuld.
Du hast mitgemacht, G.
Niemand sollte zu Schaden kommen.
Das war jetzt egal.
Gina sah sich in ihrem Kerker um. Sie hatte noch nie einen Brunnen von innen gesehen. Sie war Städterin. Ohne Fernsehen und Kino hätte sie nicht einmal gewusst, was ein Brunnen war.
In den Mauern klafften breite Risse, und stellenweise war der Beton abgebröckelt. Zu ihrer Rechten führten eine Reihe von Eisensprossen nach oben. Wenn sie beide Arme und Beine benutzen könnte, käme sie leicht hoch. Aber in ihrem Zustand hinaufzuklettern … unmöglich. Allein bei dem Versuch, sich aufzusetzen, war sie beinahe ohnmächtig geworden.
Im Moment wollte sie eigentlich nur eins, sich gegen die Mauer lehnen und sich ausruhen. Das bedeutete, sie musste mit dem linken Bein drücken, um auf dem Hintern nach hinten zu rutschen. In der Vorstellung eigentlich nicht schwer, aber in der Realität saß sie auf einem Müllhaufen und hatte keinen festen Boden unter sich. Würde sie genug Widerstand finden, um drücken zu können? Und bei der Aktion würde sie außerdem ihr rechtes Bein mit dem gebrochenen Knöchel bewegen müssen, was schrecklich wehtun würde.
Hör auf zu jammern, Gina. Mach endlich.
Ach, sei still, Marissa.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange es dauerte, bis sie genug Kraft und Mut gesammelt hatte, um es wenigstens zu probieren. Sie sah sich nach etwas um, das sie als Krücke oder Hebel benutzen konnte.
Hier und da ragte weggeworfenes Holz aus dem Müll, von irgendeinem Bau übrig geblieben. Mehrere kurze Holzstücke befanden sich in ihrer Reichweite, Abschnitte von Vierkanthölzern. Das nutzte ihr nichts. Zu ihrer Linken lag etwas weiter weg ein längeres Stück – schmaler, weniger stabil, aber immerhin einen Meter lang.
Mit der rechten Hand erreichte sie es nicht. Mit der Linken hätte sie es geschafft, aber der linke Arm war zu nichts zu gebrauchen. Gina bewegte die Finger ihrer linken Hand, aber sie konnte den Arm nicht heben.
Langsam streckte sie ihr Bein aus und versuchte, ihre Schuhspitze unter die Latte zu schieben, um sie zu sich heranzuziehen, aber sie erreichte damit nur, dass sie sie weiter wegschob.
Völlig erschöpft zog sie ihr Bein wieder an und lehnte die Stirn dagegen.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon in diesem Loch war. Sie hatte ihre Uhr vergessen. Es könnten Stunden sein. Oder Tage. Seit der Nachricht von Marissas Tod hatte sie nichts mehr gegessen. Sie hätte nichts bei sich behalten können. Sie hatte auch nichts mehr getrunken, nachdem die Detectives gegangen waren – und der ältere der beiden ihr das Foto in die Hand gedrückt hatte.
Der Gestank um sie herum verursachte ihr einen ständigen Brechreiz, aber ihre Kehle war völlig ausgetrocknet. Sie musterte den Müll. Bierdosen. Massen davon – die meisten zusammengedrückt. Coladosen. Leere Schnapsflaschen. Der Brunnen diente offenbar zur Müllentsorgung nach Partys. Wahrscheinlich kamen Jugendliche aus Oak Knoll hierher, wenn sie einen entlegenen Ort suchten, wo sie trinken und Haschisch rauchen und all die anderen Dinge tun konnten, die Jugendliche heutzutage so taten.
Gina erinnerte sich, dass es auch in ihrer Schulzeit einen solchen Ort gegeben hatte – eine Stelle in den Hügeln oberhalb von Malibu. Sie erinnerte sich an die verbotenen Lagerfeuer, das billige Bier und den Apfelmost, dazu hörten sie Smoke on the Water und Horse With No Name .
Ihren Müll hatten sie damals immer in eine Höhle geworfen. Es wäre ihr niemals der Gedanke gekommen, dass vielleicht jemand in dieser Höhle in der Falle saß und krepierte, während sie draußen feierten.
Sie nahm eine halb zerdrückte Coladose. Aus der Öffnung krochen Ameisen. Sie schwenkte die Dose und hörte es gluckern, zumindest der Boden schien bedeckt zu sein. Sie versuchte, die Ameisen wegzuschnipsen, dann schloss sie die Augen, hielt die Luft an und hob die Dose an die Lippen, auch wenn ihr graute.
Das Zeug schmeckte widerlich, aber wenigstens war es eine Flüssigkeit. Sie trank einen Schluck und noch einen, und dann spuckte sie aus, als sie plötzlich eine Zigarettenkippe auf ihrer Zunge spürte.
Für ein paar Minuten gab Gina dem Drang zu weinen nach. Sie war so müde. Ihr tat alles weh. Sie wusste, dass niemand nach ihr suchen würde.
Gerade in dem Moment, als ihr Blick auf ein vor ihr liegendes Häufchen blutverschmierter Kleidungsstücke fiel, stand hundert Meter weit
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