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Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)

Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)

Titel: Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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sie, ohne sich zu seiner Ausdrucksweise zu äußern. »Was hast du gestern gemacht?«
    »Nichts. Hier kann man nichts anderes tun, als den Irren zugucken. Der komische Kerl mit den Dreadlocks hat seine Hosen runtergezogen und in den Werkraum geschissen«, erzählte er lachend. »Das war echt lustig.«
    Oh Gott, ich muss ihn hier rausbringen, dachte sie. Sie würde versuchen, eine Wohngruppe zu finden. Irgendwo musste es eine geben, in die er passte. »Hast du deine Lektüreaufgabe erledigt?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil Sie nicht da waren.«
    »Du hättest das Kapitel am Dienstag lesen sollen. Du wusstest nicht, dass ich gestern nicht kommen würde.«
    »Aber Sie sind nicht gekommen«, beharrte er. »Woher sollte ich wissen, ob Sie jemals wiederkommen? Sie hätten genauso gut tot sein können. Jemand hätte Sie ermorden und erstechen und Ihnen den Kopf abschneiden können.«
    »Ich hätte auch zum Mond fliegen können«, sagte Anne. »Aber das wäre nicht besonders wahrscheinlich gewesen. Ungefähr so wahrscheinlich, wie dass mich jemand ermordet. Das ist jedenfalls keine Entschuldigung, die Hausaufgaben nicht zu machen.«
    »Dr. Crane hat versucht, Sie zu ermorden«, sagte er. »Da könnte auch jemand anderes kommen und es versuchen.«
    »Wie wär’s, wenn wir das Thema wechseln?«, sagte Anne mit Nachdruck. »Du hattest gestern eine Sitzung bei Dr. Falk. Wie lief’s?«
    »Jemand hat diese andere Frau ermordet«, sagte Dennis. Seine kleinen Augen funkelten aufgeregt. »Jemand hat eine Million Mal mit dem Messer auf sie eingestochen und ihr dann den Kopf abgeschnitten.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es eben«, sagte er ausweichend.
    »Hast du es im Fernsehen gesehen?«
    »Nein.« Sie sah ihm an, dass er überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Schließlich erklärte er: »Ich hab’s in der Zeitung gelesen.«
    »Wirklich?«, rief Anne und hob überrascht die Augenbrauen. Wenigstens las er überhaupt etwas. Ihr hätte es mehr behagt, wenn es nicht um Mord gegangen wäre, aber besser als nichts. »Das finde ich gut. Liest du gerne Zeitung?«
    »Nee«, sagte er und runzelte die Stirn. Er wusste, dass er sich mit seinem Geständnis etwas eingebrockt hatte. »Nur wenn es um Mord und Vergewaltigung und solche Sachen geht.«
    »Aber immerhin liest du«, sagte Anne, entschlossen, sein angebliches Interesse am Makabren unkommentiert zu lassen. So etwas sagte er nur, um sie zu provozieren. Das hoffte sie jedenfalls. »Dann schreibst du einen Bericht über diesen Mord. Morgen möchte ich zwei Seiten sehen.«
    Er starrte sie mit offenem Mund an. »Das ist total gemein!«
    »Tja, so ist das Leben«, sagte sie. »Ich bin nun mal Lehrerin. Ich kann jedes Thema wählen und dir dazu eine Aufgabe stellen. Ich möchte, dass du zwei Seiten über den Mord schreibst. Und schreib nicht aus der Zeitung ab. Ich lese sie nämlich auch.«
    »Das ist fies!«
    Anne zuckte mit den Schultern. »Du hast doch nichts Besseres zu tun. Das hast du selbst gesagt.«
    Er war wütend, dass sie seine Worte gegen ihn verwendete. Seine Ohren wurden rot, und die Sommersprossen auf seinen Wangen leuchteten. Mit geballten Fäusten trommelte er auf die Tischplatte.
    »Dafür bringe ich dir morgen etwas Besonderes mit«, sagte sie.
    »Was denn?«
    »Das sage ich nicht«, erwiderte Anne und nahm sich vor, in die Buchhandlung in der Fußgängerzone zu gehen und etwas auszusuchen, das Dennis’ Leselust in eine andere Richtung lenken würde. Vielleicht einen Comic. Superhelden, die Verbrechen bekämpften, statt sie zu begehen. »Aber du musst die zwei Seiten fertig haben. Abgemacht?«
    Er sah sie misstrauisch an. »Nein. Was, wenn Sie mir was Blödes wie zuckerfreie Kaugummis oder irgendein kindisches Spielzeug oder so mitbringen?«
    »Was, wenn es nicht etwas Blödes ist?«, fragte Anne zurück. »Was, wenn es etwas ist, das dir richtig gut gefällt?«
    »Was denn?«
    »Das sage ich nicht.«
    Hinter der Enttäuschung konnte Anne Aufgeregtheit aufblitzen sehen. Dennis hatte eine schreckliche Kindheit gehabt. Sie konnte sich gut vorstellen, dass ihn seine Eltern nie mit einem Geschenk überrascht hatten. Die halbe Zeit war er in verdreckten Kleidern in die Schule gekommen. Sie hatten sich nicht einmal um seine grundlegendsten Bedürfnisse gekümmert.
    Vielleicht konnte sie ihm ja beweisen, dass die Welt nicht ganz so schlecht war – und dass das nicht nur für die Wendy Morgans und Tommy Cranes galt. Wenn er

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