Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
er versteht deine Sprache nicht .
»Hey, Kumpel«, versuchte er es erneut und bemühte sich, die Unsicherheit aus seiner Stimme zu verbannen. »Irgendwie sind Sie mir unheimlich. Was halten Sie davon, wenn wir noch mal von vorne anfangen?«
Der Mann antwortete nicht.
»Sprechen Sie meine Sprache? Habla español? «
Der Mann zuckte mit den Schultern.
»Na immerhin, also zumindest hören können Sie mich. Was ist denn das für eine Einstellung, Mann? Ich brauch doch bloß Hilfe. Ich hab ’ne Panne.«
Nur wenige Meter vor ihm blieb der Fremde stehen und hob den Kopf. Selbst aus der Nähe konnte Stephen sein Gesicht nicht klar erkennen. Allerdings bemerkte er die ungewöhnlichen Augen des Mannes. Sie saßen tief in den Höhlen und funkelten in der Dunkelheit wie glühende Kohlen.
Aber hier ist nirgends Licht, ging es Stephen durch den Kopf. Eigenartig . Was reflektieren seine Augen denn, wenn es hier nirgends Licht gibt?
Der Mann lächelte und entblößte dabei weiße, ebenmäßige Zähne. Stephen war nicht sicher sein, aber er fand, dass sie spitz wirkten. Er wich einen halben Schritt zurück.
»Was wollen Sie?«
»Dich töten«, erwiderte der Mann schlicht.
»W-was? Hey, was … Scheiße.«
Stephen war alles andere als ein Überlebenskünstler. Bei der menschenverachtenden Verlosung für das Fiasko in Vietnam hatte er lediglich Glück gehabt, und er war immer froh darüber gewesen, dass ihm dieses Grauen erspart geblieben war. Natürlich kannte er Leute, die gedient hatten. Männer mit weniger Glück und sogar ein paar, die sich freiwillig verpflichtet hatten. Einige hatten von ihren Erfahrungen in Vietnam berichtet. Die meisten schwiegen. Wenngleich Stephen bewusst war, dass er nie wirklich verstehen würde, wie es dort gewesen sein musste, kannte er sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er zu jenen in Vietnam gehört hätte, die irreparabel geschädigt nach Hause kamen – wenn er denn überhaupt überlebt hätte. Allerdings konnte man ihn auch nicht als Feigling bezeichnen. Zugegeben, er mochte kein besonders harter Kerl sein, aber zu verteidigen wusste er sich trotzdem. Von Kampfkunst verstand er nichts, doch das spielte keine Rolle. Stephens Meinung nach waren Kämpfe von Natur aus nicht fair. Zudem besaß er einen weiteren Vorteil. Stephens Vater war Polizist gewesen, weshalb er, obwohl er kein sonderlich guter Jäger war, ziemlich gut mit einer Handfeuerwaffe umgehen konnte.
»Jetzt mal ernsthaft, hören Sie auf mit dem Mist«, sagte Stephen. »Dafür bin ich nicht in der Stimmung, Freundchen. Nicht heute Nacht.«
Der Mann kam näher. Sein Geruch stieg Stephen in die Nase und ließ ihn zusammenzucken. Der Geruch war dermaßen widerlich, dass es ihm Tränen in die Augen trieb. Der Fremde roch nach einem überfahrenen Kadaver – als habe er sich in den Überresten eines seit fünf Tagen toten Opossums gesuhlt.
»Herr im Himmel …«
»Der ist gerade nicht hier«, gab der Mann in Schwarz zurück. »Und selbst wenn er hier wäre, könnte er dich nicht retten.«
Stephen hielt inne, stellte die Füße in Schulterbreite fest auf den Boden und wappnete sich für seinen Gegner. Er hielt den Atem an, damit ihm vom entsetzlichen Gestank des Fremden nicht schlecht wurde. Eine Waffe hatte der Mann bislang nicht präsentiert. Er schien kein Messer und keine Pistole bei sich zu tragen. Andererseits konnte er beides durchaus unter den Falten seines langen Mantels verstecken.
Mittlerweile befand sich der andere nur noch eine Armlänge entfernt, und Stephen wusste, dass ihm keine Zeit mehr blieb, um die Reisetasche zu öffnen und die SIG Sauer P225 herauszuholen. Er hatte drei Möglichkeiten – versuchen, den Kerl mit Worten in Schach zu halten, wegrennen oder sich auf seine Fäuste verlassen. Flucht schied aus. Der Fremde war offensichtlich geistesgestört, und wenn Stephen das Auto zurückließ, würde dieser Irre es womöglich beschädigen.
»Das ist jetzt nah genug«, sagte er und kämpfte um eine ruhige, gefasste Stimme. »Ich warne dich, du Freak.«
Der Mann in Schwarz ignorierte ihn und kam noch dichter heran.
Stephen beschloss, dass er zuerst den Ellbogen zur Nase des Mannes vorschnellen lassen und dann mit einem raschen Tritt gegen das Knie seines Gegners nachsetzen würde, sollte er dazu gezwungen werden. Dann würde es sich dieser Kerl zweimal überlegen, ob er sich wirklich mit ihm anlegen wollte.
Doch bevor Stephen seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, hob der Mann in Schwarz eine Hand
Weitere Kostenlose Bücher