Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Frostschutzmittel und Öl wahr, beides jedoch nicht übertrieben stark wie im Fall einer leckgeschlagenen Leitung. Da er keine Ahnung hatte, was er sonst unternehmen sollte, schlug er die Haube zu und trat wieder an die Seite des Wagens. Er kletterte hinter das Steuer und griff nach seinem Mobiltelefon. Dann sah er auf die Uhr und überprüfte, wie spät es war. Seine Frau Noralyn würde wahrscheinlich noch wach sein und mit ihren beiden Siamkatzen Princess und Eddie – eine Kurzform von Edgar Allan Poernik – auf der Couch kuscheln. Stephen wollte sie anrufen, um ihr mitzuteilen, was passiert war, danach würde er einen Abschleppwagen bestellen.
Doch als er das Handy aufklappte, entpuppte es sich als ebenso funktionslos wie der Mazda und die Lichter der Stadt. Stephen drückte zweimal auf die Ein-/Aus-Taste, um sich zu vergewissern, doch das Gerät bekam keinen Strom. Mysteriös. Er hatte es in der vergangenen Nacht in einem Motel, in dem er in Walden übernachtet hatte, an eine Steckdose angeschlossen. Und im Verlauf des Tages hatte er es nur selten benutzt – einmal, um Noralyn anzurufen und ihr einen guten Morgen zu wünschen, zweimal, um seine Mailbox abzuhören und zu überprüfen, ob einer der Handwerkermärkte oder Antiquitätenläden, die er besucht hatte, an seinem Angebot interessiert war. Doch die angekündigten Nachrichten erwiesen sich als automatische Bandansagen. Einmal wurde ihm eine Gewährleistungsverlängerung für ein Auto angeboten, das Noralyn und er gar nicht mehr besaßen, das andere Mal einen Art Klingeltondienst zu seinem Handyvertrag. In beiden Fällen hatte er rasch wieder aufgelegt. Abgesehen von diesen drei Anrufen hatte das Telefon auf dem Beifahrersitz gelegen. Der Akku konnte unmöglich leer sein. Als ob er es sich selbst beweisen wollte, drückte er mit dem Daumen erneut auf den Einschalter. Keine Reaktion.
»Verdammt noch mal!«
Die Krähe krächzte abermals, beinahe so, als würde sie ihn auslachen. Stephen wirbelte herum und streckte ihr den Mittelfinger entgegen. Der Vogel wirkte perplex. Er erhob sich von seinem Kauerplatz, schwebte auf den Boden herab, landete mitten auf der Straße, legte den Kopf schief und starrte ihn unverhohlen an. Stephen stampfte mit dem Fuß in Richtung des Vogels auf den Asphalt.
»Verschwinde. Hau gefälligst ab. Verpiss dich!«
Die Krähe blieb, wo sie war, trotzig und unnahbar. Fast wirkte sie ein wenig herablassend. Sie krächzte erneut. Stephen hätte schwören können, dass es sich wie Gelächter anhörte.
»Wie du willst, du beschissener, dämlicher Vogel.«
Stephen beschloss, in die Stadt zu laufen und sich Hilfe zu organisieren. Obwohl die Beleuchtung überall ausgefallen zu sein schien, musste noch jemand wach sein. Ein 24-Stunden-Supermarkt oder eine Tankstelle. Ein Polizist, der seine Runden drehte. Jemand, der unter Schlaflosigkeit litt und sich nächtliche Talkshows im Radio anhörte oder sich mit einer Dauerwerbesendung in der Glotze die Zeit vertrieb. Teenager, die eine Party feierten. Irgendjemand. Er würde herausfinden, ob es einen Mechaniker oder einen Abschleppdienst gab, der ihm heute Nacht noch helfen konnte. Falls nicht, würde er sich ein Quartier zum Übernachten suchen – idealerweise ein Hotel oder eine Frühstückspension –, Noralyn von dort aus anrufen, sie informieren, was los war, und sich gleich morgen früh um die Reparatur des Wagens kümmern.
Er schnappte sich die große Reisetasche vom Rücksitz. In der Tasche befand sich saubere Wäsche zum Wechseln, sein Waschzeug, ein iPod, der Katalog mit seinen Arbeiten und verschiedene andere Utensilien, die er für diese Reise eingepackt hatte. Neben der Reisetasche lag ein schwarzer Müllsack aus Plastik, der seine gesammelte Schmutzwäsche enthielt. Stephen beschloss, ihn im Auto zu lassen, aber alles andere mitzunehmen. Falls jemand in den Mazda einbrechen und seine schmutzige Unterwäsche klauen wollte, hatte er nichts dagegen einzuwenden. Wenn jemand so verzweifelt war, brauchte er sie dringender als er.
Stephen öffnete das Handschuhfach und zog die Pistole heraus, auch die Schachtel mit den Patronen griff er sich. Er war klug genug, nicht mit geladener Waffe herumzufahren. Sollte er tatsächlich je mit der Pistole erwischt werden, machte das den entscheidenden Unterschied zwischen einem kleinen Bußgeld und einer schweren Straftat aus – je nachdem, durch welchen Bundesstaat er fuhr und wer zum jeweiligen Zeitpunkt gerade Dienst schob.
Das nutzlose
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