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Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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gewesen. Was ist mit Myrtle Beach, dem Jahrmarkt und dem Klassenausflug nach New York City, als wir in der Unterstufe waren?«
    »Ja, aber das war trotzdem alles Amerika. Die Welt besteht nicht nur aus den Vereinigten Staaten. Das begreift man, sobald man die Grenzen hinter sich lässt. Wir sind nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe und Brinkley Springs … verdammt, das Kaff ist auf einer Weltkarte nicht mal mit der Lupe zu finden. Alles, was hier passiert, all der belanglose Mist, die banalen Dramen und der Klatsch in den Leben der Menschen – da draußen bedeutet es einen Scheißdreck.« Sein Arm deutete unbestimmt in Richtung Horizont.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Marsha. »Was hat das damit zu tun, dass du die Briefe an mich nie abgeschickt hast?«
    Donny holte tief Luft und lehnte sich an die Fahrertür seines Wagens. »Wie ich schon sagte, es ist schwer zu erklären. Ich habe mich verändert. Hab Scheiße gesehen, die … Sagen wir einfach, es war nicht besonders schön. Ich habe Sachen getan, auf die ich nicht sonderlich stolz bin. Das haben wir alle. Es herrschte Krieg, verstehst du? Alles war anders, und Brinkley Springs schien so weit weg zu sein. Es war, als wärst du ein Teil eines anderen Lebens. Du warst jemand, den eine andere Version von mir gekannt hatte – und dieses andere Ich war tot. Es existierte nicht mehr. Ich hatte es hier in Brinkley Springs zurückgelassen, eine gefühlte Million Kilometer entfernt.«
    »Das hättest du mir auch sagen können.«
    »Hab ich versucht. In jedem Brief. Aber ich hab keinen davon abgeschickt, weil ich dachte, du würdest dein Leben längst weiterleben. Ich wollte die Angelegenheit nicht unnötig verkomplizieren. Ich wusste nichts von einem Selbstmordversuch oder dergleichen. Glaub mir, wenn mir das jemand erzählt hätte, wäre alles anders gelaufen. Ich dachte, du wärst über mich hinweg, aufs College gegangen, glücklich mit einem anderen Typen zusammen und hättest mich völlig vergessen. Erst als ich nach Hause zurückkam, nachdem meine Mutter krank wurde, fand ich die Wahrheit heraus.«
    »Du musst es von anderen Leuten gehört haben. Du musst davon gewusst haben.«
    Donny schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Meine Mutter hat mir E-Mails und Briefe geschickt, aber sie erzählte nie, was mit dir passiert ist. Sie erwähnte dich nicht einmal. Wahrscheinlich glaubte sie, es würde mich nur aufregen. Womit sie völlig richtig lag. Und sonst hab ich von niemandem aus der Heimat etwas gehört. Die Kirche schickte mir Weihnachtskarten, aber das war’s auch schon.«
    »Und jetzt haust du wieder ab.«
    »Ja.«
    Marsha wischte sich über die Augen und verschmierte ihren Mascara.
    Donny streckte die Hand nach ihr aus, doch sie stieß ihn weg.
    »Lass mich zufrieden. Du hast schon genug Schaden angerichtet.«
    »Marsha … ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe dich geliebt. Verdammt, ich liebe dich immer noch.«
    »Tja, dann hast du eine merkwürdige Art, das zu zeigen! Wenn du mich liebst, warum rennst du dann schon wieder davon?«
    »Ich renne nicht davon. Es liegt an dieser Stadt. Es gefällt mir hier nicht. Hat es noch nie. Schon als Teenager konnte ich den Tag kaum erwarten, an dem ich endlich aus diesem elenden Kaff verschwinden würde. Gehalten haben mich hier nur meine Mutter und du. Und jetzt ist meine Mutter nicht mehr da.«
    »Und ich bin nicht genug, um dich hier zu halten.« Ihr Tonfall klang ausdruckslos und resigniert. »Das war ich nie.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Sicher stimmt es.«
    »Du könntest mitkommen.«
    »Ich hab dir schon gesagt, dass ich das nicht kann, Donny. Meine Familie lebt hier.«
    »Du hättest sie auch fürs College verlassen.«
    »Das war damals. Die Dinge haben sich geändert. Sie sind in einer verdammt schweren Zeit für mich da gewesen. Du nicht. Ich kann sie jetzt nicht einfach im Stich lassen.«
    »Tja«, meinte Donny seufzend. »Dann schätze ich, das …«
    Jemand stieß einen hohen, gellenden Schrei aus, der die Straße entlanghallte und dann abrupt verstummte. Sowohl Donny als auch Marsha zuckten zusammen und erschreckten sich unheimlich. Sie spähten nach allen Seiten in die Dunkelheit.
    »Was war das?« Marsha streckte den Arm aus, ergriff Donnys Hand und drückte sie fest. » Wer war das?«
    »Keine Ahnung. Bleib hier.«
    Sie drückte seine Hand noch fester. »Was? Wo willst du hin?«
    »Nachsehen. Jemand ist …«
    Ein zweiter Schrei zerfetzte die Nacht. Dieser kam aus einer anderen Richtung.

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