Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Sekunden danach folgte weiteres Gebrüll. Ein Hund jaulte vor Schmerzen oder Angst. Dann verstummten die Straßen wieder. Donny fühlte sich an die unheimliche Stille erinnert, die häufig im Anschluss an ein Feuergefecht eintrat.
»Großer Gott«, flüsterte er. »Was in Dreiteufelsnamen geht hier vor? Der Strom, die Hunde und jetzt das …«
»Ich rufe bei der Notrufzentrale an.« Marsha zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche, klappte es auf und runzelte die Stirn. »Der Akku kann nicht leer sein. Ich hab ihn gerade erst aufgeladen.«
Donny holte sein Handy hervor und schüttelte den Kopf. »Meins ist auch tot.«
»Woran kann das liegen? Die Lichter sind zwar ausgefallen, aber was könnte unsere Mobiltelefone ausfallen lassen?«
»Ein EMP.«
»Was ist das?«
»Ein elektromagnetischer Puls. Ich meine, natürlich könnten Mobilfunkmasten umgefallen sein, aber selbst dann hätten die Telefone noch Saft. Was ihnen völlig den Rest geben könnte, wäre ein EMP. Aber das ist …«
Eine Frauenstimme, die hysterisch nach jemandem namens Brandon rief, unterbrach ihn. Die Verzweiflung und Panik war fast körperlich zu spüren.
»Das ist Mrs. Lange«, stieß Marsha beunruhigt aus. »Brandon ist ihr kleiner Junge.«
Sie hob eine zitternde Hand und deutete auf das Haus der beiden. Donny schaute in die Richtung, als die Eingangstür mit einem Knall aufflog. Ein kleiner Junge stürmte heraus und rannte die Veranda entlang, dicht gefolgt von einer Frau.
»Das sind sie«, sagte Marsha atemlos. »Was ist nur passiert?«
Donny und Marsha setzten sich in Richtung der beiden in Bewegung, kamen jedoch beunruhigt zum Stehen, als sie eine weitere Gestalt aus dem dunklen Haus kommen sahen. Weder sie noch er kannten den Mann. Er war groß und dünn, trug einen langen dunklen Mantel und einen breitkrempigen, schwarzen Hut. Sie erhaschten nur flüchtige Blicke auf sein in Schatten liegendes Gesicht, als er der flüchtenden Mutter und ihrem Sohn nachsetzte. Er bewegte sich schnell und zielstrebig und schien fast über die Veranda und die Stufen zu schweben. Er holte Mrs. Lange ein und krallte eine Hand um ihre Beine. Donny und Marsha fiel auf, dass seine Fingernägel Krallen glichen. Mrs. Lange landete mit dem Bauch voran auf dem Rasen. Ihr Sohn blieb stehen, drehte sich um und schrie, als er sah, was geschehen war.
»Lauf, Brandon!«, brüllte sie, als die schwarze Gestalt über ihr aufragte.
»Bleib hier«, sagte Donny zu Marsha, bevor er über die Straße preschte.
Der Angreifer stellte sich rittlings über Mrs. Langes ausgestreckt auf dem Boden liegende Gestalt und zerrte an ihrem Pferdeschwanz. Dann stemmte er einen Fuß auf den Rücken, genau zwischen die Schulterblätter, und riss den Kopf der Frau in die Höhe. Mrs. Lange heulte gequält auf, als ihr die gesamte Kopfhaut weggefetzt wurde. Brandon, Donny und Marsha schrien ebenfalls auf. Als Donny den brüllenden Jungen erreichte, packte der dunkle Mann Mrs. Langes kahlen Schädel mit beiden Händen und schlug ihn wiederholt auf den Boden. Sie zuckte und zitterte, dann blieb sie bewegungslos liegen. Der Mann kniete sich über ihren Körper, rollte sie auf den Rücken und presste seinen Mund auf ihren.
»Mama!«
Donny hielt den Jungen an den Schultern zurück, und Brandon kreischte.
»Lass mich los! Meine Mama …«
»Ich helfe ihr«, sagte Donny. »Du läufst da rüber zu meiner Freundin Marsha.«
Brandon starrte mit geweiteten, entsetzten Augen auf die reglose Gestalt seiner Mutter. Rotz und Tränen trieften auf seine Oberlippe. Er flüsterte noch einmal ihren Namen, dann drehte er sich um und rannte in die ausgebreiteten Arme von Marsha.
»He!«, brüllte Donny dem Mörder zu. »Rühr dich nicht von der Stelle, du Scheißkerl!«
Der Mann in Schwarz hob die Hand und winkte Donny lässig zu sich heran. Seine Lippen blieben dabei auf Mrs. Langes Mund gepresst. Wütend rannte Donny auf ihn zu. Als er sich näherte, schaute der Mörder auf. Donny erhaschte einen flüchtigen Blick auf etwas Weißes und Leuchtendes, das sich aus Mrs. Langes offenem Mund kräuselte – wie Zigarettenrauch mit einem Licht darin. Der Mann schien es einzusaugen. Danach stand er auf und lachte.
»Donny!«, schrie Marsha.
Donny blieb stehen und warf einen Blick über die Schulter. Eine weitere ähnlich gekleidete Gestalt näherte sich über die Straße. Die Chancen standen nicht mehr zu seinen Gunsten – vor allem bei einem Gegner, der einer Frau mit bloßen Händen die Kopfhaut abreißen
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