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Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

Titel: Eine Versammlung von Krähen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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die Levi zugreifen wollte. Unter den unschätzbaren Werken befand sich eine deutschsprachige Ausgabe von König Salomons Clavicula Salomonis aus dem 18. Jahrhundert, von der Levi eine Abschrift benötigte. Sein Aufenthalt in Brinkley Springs war lediglich als kurze Erholung während der langen und beschwerlichen Fahrt geplant gewesen. Sowohl er als auch Dee hatten eine Pause benötigt. Doch in dieser Nacht würde es keine Pause geben. Das Böse schlief nie, und auch Gottes Kriegern war keine Rast vergönnt. Levi war vorsätzlich hierhergesandt worden, denn er allein konnte sich der Bedrohung stellen, mit der die Stadt in diesem Augenblick konfrontiert wurde. Das war sein Lebensinhalt. Es stellte seine Berufung dar, sein Geburtsrecht und ziemlich oft auch seinen Fluch.
    Zu Hause in Marietta hielten Levis Nachbarn den vermeintlichen Amish, der den kleinen Bungalow neben ihnen bewohnte, für einen Holzarbeiter – womit sie teilweise recht hatten. Eine Hälfte der Doppelgarage, die sich im hinteren Bereich seines Grundstücks befand, war von ihm in eine Schreinerwerkstatt verwandelt worden, die andere diente als Stall für Dee. Unter der Woche verbrachte Levi viel Zeit in der Garage und fertigte verschiedene Waren an – Garderobenständer, Löffelkästen, Stühle, Tische, Kommoden, Tafeln, Rasenornamente und sonstigen Nippes. Jeden Samstag lud er die Erzeugnisse auf die Ladefläche seines Pferdewagens und karrte sie zum örtlichen Antiquitätenmarkt. Es war ein ehrliches, anständiges Leben, mit dem er genug für Miete, Lebensmittel, Gas, Wasser und Strom sowie das Futter für Dee und seinen Hund Crowley verdiente.
    Was seine Nachbarn jedoch nicht wussten, war, dass Levi noch eine andere, weitaus geheimere Berufung hatte. Er arbeitete mit Powwow wie schon sein Vater und Großvater vor ihm. In der Regel wurde er für medizinische Behandlungen konsultiert. Seine Patienten entstammten vorwiegend drei Gruppen: alte Menschen, die sich an die Überlieferungen erinnerten; arme Menschen, die keine Krankenversicherung besaßen und es sich nicht leisten konnten, einen Arzt oder das Krankenhaus aufzusuchen; und Menschen, die sich von der Schulmedizin abwandten und einen ganzheitlichen Ansatz bevorzugten. Die Patienten kamen zu Levi, um sich gegen verschiedene Gebrechen und Krankheiten behandeln zu lassen. Er versorgte alles, von einer gewöhnlichen Erkältung bis hin zu Arthritis. Gelegentlich suchte man ihn auch wegen schwerwiegenderer Erkrankungen auf – etwa, um eine Blutung zu stoppen oder einen gebrochenen Knochen zu richten.
    Aber Powwow überschritt die Grenzen der Medizin bei Weitem. Es handelte sich um eine magische Disziplin wie jede andere, und fallweise gingen seine Aufträge deutlich darüber hinaus, Kranken zu helfen oder Vieh zu heilen. Fallweise waren die Bedrohungen, mit denen er sich konfrontiert sah, übernatürlicher statt biologischer Natur. Levi wusste, dass er es in dieser Nacht mit einem solchen Fall zu tun bekommen würde.
    Weitere Schreie ertönten, als Levi den Pferdewagen erreichte und auf die Ladefläche kletterte. Sein Gewicht brachte das Gefährt zum Wanken und die Aufhängung zum Schaukeln. Obwohl die Räder blockiert waren, ächzten die Achsen leicht. Es herrschte dieselbe Unordnung wie in einem Auto. Straßenkarten, Notfackeln, eine Taschenlampe, verschiedene Schraubenschlüssel und Schraubendreher, eine Packung Tempos und leere Fast-Food-Verpackungen waren wild verstreut. Levi hatte vorgehabt, am nächsten Morgen aufzuräumen. Nun plagten ihn weitaus dringlichere Sorgen.
    Auf Händen und Knien kroch er durch das Chaos und bemühte sich, den Kopf so gut wie möglich unten und außer Sicht zu behalten. Die Nacht war gefährlich geworden. Wie zur Bestätigung hallte ein Schuss durch die Dunkelheit. Dem Geräusch nach zu urteilen, befand sich der Schütze nur wenige Straßenblocks entfernt. Wenn man nach dem Echo ging, musste die Waffe eher ein großkalibriges Gewehr als eine Pistole gewesen sein. Levi lauschte aufmerksam, hörte jedoch keine Polizeisirenen aufheulen – nur weitere Schreie und entsetztes Kreischen.
    Ein Mann kam kurz aus dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, huschte eilig zurück und schlug die Tür hinter sich zu. Als Levi das andere Ende des Pferdewagens erreichte, hörte er Schritte, die sich ihm näherten. Er drehte sich um und sah sich zwei Männern gegenüber, die mit Jagdgewehren in den Händen in seine Richtung kamen. Die beiden wirkten nervös und schienen

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