Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Gebäude standen momentan leer, und jeden Monat schienen weitere zum Verkauf angeboten zu werden. Nicht dass sich jemals ein Käufer fand. Sie selbst hatte sich damals im Immobilienschlaraffenland gewähnt, als die Maklerin ihr quasi freie Auswahl anbieten konnte. Melanie hatte das Haus nur als Übergangslösung geplant, als Platz zum Wohnen und zum Verwahren ihrer wenigen Besitztümer, bis die Pferdefarm startklar war. Danach wollte sie das Haus renovieren und weitervermieten.
Rastlos schaukelte sie auf den Fußballen vor und zurück und zuckte zusammen, als sie eine flüchtige Bewegung an der aufgetretenen Tür gegenüber wahrnahm. Sie hatte mit dem Killer oder vielleicht einem flüchtenden Bewohner gerechnet, doch stattdessen flatterte ein riesiger schwarzer Vogel aus dem Haus. Mit flatternden Schwingen stieg er über die Dächer auf und verschwand außer Sichtweite.
Sie bemerkte, dass auch die Leiche des dicken Mannes verschwunden war. An ihrer Stelle türmte sich ein kleiner Haufen Erde oder Asche – so genau konnte sie das aus der Entfernung nicht unterscheiden. Unwillkürlich fragte sie sich, ob jemand den Leichnam weggeschleift hatte oder der Mann eventuell doch nicht tot gewesen war. Vielleicht war er schwer verwundet davongekrochen.
Kurze Zeit später schlichen drei mit Gewehren bewaffnete Männer an ihrem Vorgarten vorbei. Sie huschten von Auto zu Auto und nutzten die geparkten Fahrzeuge als Deckung. Ihre Mienen wirkten äußerst entschlossen. Grimmig und ernst starrten sie auf die Umgebung. Melanie erkannte zwei von ihnen. Es waren die Männer, denen die örtliche Autowerkstatt gehörte – Brüder, wie sie sich zu erinnern glaubte. Die Pleasants? Die Pheasants? Irgendetwas in der Richtung.
Den älteren Mann, der die Geschwister begleitete, kannte sie nicht, aber er sah aus wie jemand, der sich in seiner Haut zu wehren wusste, groß und stämmig. Sie griff nach dem Türknauf und wollte sie gerade um Hilfe zu bitten, doch dann zog sie die Hand wieder zurück. Was, wenn die Kerle mit dem Mörder zusammenarbeiteten? Sie hatte im Lauf der Nacht immer wieder vereinzelte Schüsse gehört. Was, wenn diese Männer nicht zu den Guten zählten? Vielleicht verkörperten sie eine Art inländische Terroristengruppe oder waren ein gefährlicher Haufen Irrer.
Melanie stand da, innerlich hin- und hergerissen und wütend über ihre eigene Unentschlossenheit. Als die Männer weiterzogen, bekam sie Angst, eine Gelegenheit auf Rettung zu verpassen. Mit verbissener Miene beschloss sie, das Risiko einzugehen. Sie griff erneut nach dem Türknauf, als sie aus der Ecke des Wohnzimmers ein leises Rascheln vernahm. Mit aufgerissenen Augen wirbelte Melanie so abrupt herum, dass sie um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Wankend streckte sie eine Hand in Richtung Wand aus, um sich abzustützen. Das Geräusch kam aus dem Kamin und wurde zunehmend lauter. Schmutz und Ruß rieselten von oben herab. Melanie wimmerte. Ihr wurde bewusst, dass sie vergessen hatte, den Abzugsschacht zu verschließen. Aber das spielte keine Rolle. Schließlich war der Kamin nicht breit genug, als dass sich ein Mensch hindurchzwängen konnte.
Oder etwa doch?
Ein schwarzer Umriss schoss aus der Öffnung, und Melanie schrie hysterisch auf. Sie schleuderte das Fleischermesser in Richtung des Schemens und erkannte zu spät, dass es sich lediglich um einen Vogel handelte – eine Krähe. Das Messer sauste rotierend durch die Luft und landete mit einem dumpfen Klirren auf dem Teppich. Der gefiederte Eindringling schenkte dem Schneidinstrument keinerlei Beachtung. Stattdessen flog er auf den Kaminsims, ließ sich darauf nieder und starrte Melanie mit seinen Knopfaugen an.
»Lieber Herr Jesus …«
Der Vogel krächzte zur Erwiderung. Eine zweite Krähe kam aus dem Kamin und machte es sich auf der Lehne des Polstersessels bequem. Dann tauchte eine dritte auf und hockte sich auf die Couch, gefolgt von einer vierten und einer fünften.
Eine Versammlung von Krähen, schoss es ihr durch den Kopf. Ein ganzer Schwarm .
Melanie wich zur Tür zurück. Ohne den Blick von den Vögeln zu lösen, griff sie nach unten und tastete nach dem Regenschirm, den sie neben der Garderobe in einem Ständer aufbewahrte. Ihre Finger schlossen sich um den Griff. Sie schwenkte ihn mit schrillen Zischlauten in Richtung der Krähen. Dabei öffnete sich der Schirm und nahm ihr kurzzeitig die Sicht. Ein fauliger Geruch stieg ihr in die Nase.
»Verschwindet!«, rief sie und focht
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