Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

eine Präsenz. Levi stand auf und blickte hinaus in die Finsternis. Weil er nichts Auffälliges entdeckte, kehrte er zum Stuhl zurück und setzte sich wieder.
    »Was ist?«, wollte Esther wissen. »Stimmt etwas nicht? Sind sie da draußen?«
    »Ich glaube schon. Zumindest einer von ihnen. Wenn meine Theorie zutrifft, dann suchen sie nach uns und werden erst verschwinden, wenn sie uns alle getötet haben. Aber ich habe Maßnahmen getroffen, um unsere Anwesenheit innerhalb dieser Mauern zu verbergen. Wir befinden uns in Sicherheit. Sie können nicht herein. Nicht ohne meine Erlaubnis.«
    »Aber warum wollen sie uns überhaupt umbringen?« Marshas Tonfall klang verzweifelt. Panik blitzte in ihren Augen auf. »Ich verstehe das nicht.«
    »Ich auch nicht«, gestand Levi. »Jedenfalls nicht alles. Ich bin immer noch damit beschäftigt, die Anhaltspunkte miteinander zu verbinden, um herauszufinden, welches Bild sich ergibt. Ich habe lediglich eine Theorie, und diese Theorie hat mit Croatoan, Meeble und der verschollenen Kolonie von Roanoke zu tun. Wie ich schon sagte, die Siedler haben die Insel niemals verlassen. Was White nicht wusste – nicht wissen konnte –, war, dass fünf der Kolonisten nach seinem Aufbruch in Richtung England anfingen, sich laienhaft an Okkultismus zu versuchen. Vergessen Sie nicht, die Menschen befanden sich in einer verheerenden Situation. Die Ernten fielen aus, ein Großteil ihres Viehs war entweder bereits verendet oder krank. Die Dinge standen schlecht. Vielleicht haben diese fünf Männer Gott um Hilfe angefleht. Vielleicht wandten sie sich anderen Methoden zu, als die Gebete nicht zu ihrer Zufriedenheit erhört wurden. Anderen Göttern. Vielleicht haben Sie dabei ihren christlichen Glauben verraten.«
    »Wie unterscheidet sich das von dem, was Sie und ich tun?«, hakte Myrtle nach.
    Levi zögerte. Am liebsten hätte er darauf hingewiesen, dass ein himmelweiter Unterschied zwischen dem bestand, was er tat, und der Kristallkugelguckerei, die sie unter dem Deckmantel der New-Age-Bewegung betrieb. Aber dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort dafür. Stattdessen lächelte er, so höflich er konnte, und fuhr fort.
    »Grundsätzlich gibt es keinen Unterschied, nur waren diese Männer Amateure. Sie verstanden nicht, auf welche Kräfte sie sich einließen, und hatten keine Ahnung, wie man sie dem eigenen Willen unterwirft. Letzten Endes riefen sie nicht einmal das richtige Wesen an. Statt einen Naturgeist oder andere hilfreiche Hände zu beschwören, beteten sie eine fragwürdige Gottheit an und holten sie schließlich auf unsere Welt.«
    »Einen Dämon«, vermutete Donny. »Meeble.«
    »Es war tatsächlich Meeble, aber Meeble ist kein Dämon, sondern etwas gänzlich anderes. Ab diesem Punkt dürfte es Ihnen schwerfallen, meinen Ausführungen Glauben zu schenken – vor allem Ihnen, Esther. Ich kann nur sagen, ich bin davon überzeugt, dass es sich so verhält.«
    Randy lachte. »Scheiße, Mann, ich hab mit eigenen Augen gesehen, was diese Drecksäue anrichten können. Ich zweifle so schnell gar nichts mehr an.«
    Donny und Marsha nickten. Esther saß mit verkniffener Miene da. Myrtle beugte sich vor und schenkte Levi ihre geballte Aufmerksamkeit.
    Der frühere Amish holte tief Luft und atmete aus. »Vieles von dem, was wir über die Entstehungsgeschichte unseres Planeten und die Entwicklung der menschlichen Rasse zu wissen glauben, ist falsch. Unsere Geschichtsbücher und mündlichen Überlieferungen strotzen geradezu vor Ungenauigkeiten. In besonderem Maße gilt das für unsere religiösen Texte. Die Hauptdoktrinen des Judentums, des Christentums, des Islam, des Buddhismus, des Jainismus, des Hinduismus, des Schintoismus, des Satanismus und des Wicca sowie vieler anderer Glaubensrichtungen wurden manipuliert und von der Menschheit im Verlauf der Jahrhunderte so häufig umgeschrieben, dass keine davon mehr die ursprünglichen Überzeugungen wiedergibt. Vielmehr stecken sie voller Verwässerungen und Unwahrheiten. Man muss viel Zeit auf das Studium historischer Schriften verwenden, um den Kern der Wahrheit zu rekonstruieren. Man könnte beispielsweise glauben, die Bibel sei das Wort Gottes, aber dem ist nicht so. Ihnen wurde es zwar so beigebracht, doch es ist eine Lüge. Die Bibel ist nicht Gottes Wort. Ebenso wenig wie der Koran, die Thora oder jede beliebige andere heilige Schrift.«
    »Wessen Wort ist sie dann?«, hakte Esther nach.
    »Es sind die Worte von Menschen,