Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

unverrichteter Dinge nach England zurückkehren. In die Neue Welt hat er es danach nie mehr geschafft, und die Siedlung blieb verwaist. Es heißt, dass er vor lauter Kummer und Schuldgefühlen schließlich den Verstand verlor.«
    »Also haben die verschwundenen Kolonisten Croatoan besiedelt … Hatteras?«, spekulierte Myrtle.
    »Nein. White sowie alle Historiker, Archäologen und Wissenschaftler, die seitdem dieser Theorie nachgingen, lagen falsch. Die Wahrheit ist nicht allgemein bekannt, sondern nur einigen wenigen Personen wie mir, trotzdem handelt es sich um die Wahrheit.«
    Esther runzelte die Stirn. »Personen wie Ihnen?«
    »Magiern. Powwow-Wirkenden. Priestern. Hexenmeistern. Hexen. Nennen Sie uns, wie Sie wollen. Es sind letztlich verschiedene Bezeichnungen für ein und dasselbe. Unsere Disziplinen und Methoden mögen sich voneinander unterschieden, aber letztlich folgen wir alle demselben Pfad.«
    »Also sind Sie kein Amish?« Esthers Miene verriet Enttäuschung.
    »Nein, ich bin kein Amish. Das war ich früher einmal, aber jetzt bin ich es nicht mehr.«
    »Ich verstehe.« Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. »Myrtle und ich haben darüber diskutiert, als Sie oben in Ihrem Zimmer waren. Aufgrund Ihrer Kleidung und ihres Pferdewagens draußen ging ich davon aus, dass Sie entweder Amish oder Mennonit sind. Jedenfalls hätte ich Sie nie für einen …«
    »Einen was? Einen Heiden?«
    »Das ist eine beschönigende Umschreibung.« Esther wandte den Blick ab. »Für mich hört es sich eher nach Teufelsanbetung an.«
    »Ich bin kein Satanist, Esther. Ich war früher Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Amish, musste sie jedoch vor vielen Jahren verlassen. Dabei müssen Sie wissen, dass ich nicht aus freien Stücken ging. Ich halte nach wie vor an meiner moralischen Erziehung fest. Ich bin weder Amish noch Mennonit, Protestant oder Katholik. Aber eigentlich sind das ohnehin nur Etiketten. Wenn ich meine Überzeugungen charakterisieren müsste, würde ich sagen, dass ich versuche, ein gutes Leben zu führen und Gottes Werk so zu verrichten, wie es sich für mich richtig anfühlt.«
    »Indem Sie Hexerei benutzen.«
    »Ich hab’s dir doch gesagt«, mischte sich Myrtle ein, »das ist keine Hexerei. Er benutzt Powwow.«
    »Nicht nur Powwow«, berichtigte Levi sie. »Gegen die Kreaturen draußen ist Powwow wirkungslos. Die Schutzzauber zum Beispiel, die ich über den Türen angebracht habe, basieren auf Powwow, sind jedoch um andere Disziplinen ergänzt.«
    »Welcher Art?«, hakte Myrtle mit leuchtenden Augen nach, und Levi zuckte innerlich angesichts des Feuereifers zusammen, der in ihrer Stimme mitschwang.
    »Das würde ich lieber für mich behalten.«
    »Powwow«, sagte Esther. »Hexerei. Scheint mir ein und dasselbe zu sein.«
    »Wie dem auch sein mag«, gab Levi zurück, »im Augenblick ist es das Einzige, das uns am Leben erhält.«
    »Gott erhält uns am Leben, Mr. Stoltzfus.«
    »Sie sind eine religiöse Frau, Esther. Ich bin sicher, Sie haben heute Nacht gebetet. Ist Ihnen der Gedanke gekommen, dass Gott mich geschickt hat, um Sie alle zu retten? Vielleicht bin ich die Antwort auf Ihre Gebete.«
    »Ich glaube nicht, dass …«
    »Halt mal«, fiel Donny ihr ins Wort. »Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für eine religiöse Debatte. Diese Kreaturen sind immer noch da draußen, und ich für meinen Teil wüsste gern, womit wir es zu tun haben. Ich weiß einen Scheißdreck über Magie, aber ich weiß, was ich in den letzten Stunden gesehen habe, und ich weiß auch, dass Levi uns den Arsch gerettet hat. Ich möchte mir anhören, was er zu sagen hat.«
    »Ja«, pflichtete Marsha ihm bei. »Ich auch. Bitte erzählen Sie die Geschichte zu Ende. Was ist aus den Kolonisten geworden, und was hat das mit heute Nacht zu tun?«
    »Die Siedler sind nie nach Croatoan gereist. Tatsächlich haben Sie die Kolonie überhaupt nicht aufgegeben. Ihnen ist etwas zugestoßen – etwas weit Schlimmeres als Versorgungsknappheit. Ich habe ja bereits angedeutet, dass ›Croatoan‹ verschiedene Bedeutungen besitzt. Unter anderem handelt es sich um einen weiteren Namen für das Wesen, das vor allem als Meeble bekannt ist.«
    »Meeble …« Nun runzelte Donny die Stirn. »Den Namen hab ich schon mal gehört. Ich glaube im Irak. Weiß allerdings nicht mehr genau, was es damit auf sich hat.«
    »Das ist durchaus möglich«, meinte Levi. Er wollte gerade fortfahren, als seine Aufmerksamkeit zum Fenster gelenkt wurde. Er spürte draußen