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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Bald sehen wir die hellen Lichter von Flagstaff. Bestimmt wird dich irgendwas in Flagstaff glücklich machen. Ist das nicht ein berühmter Ort?«
    »Weiß nicht«, sagte Howard, dann, halblaut: »Das will ich aber hoffen.«
    »Ich auch, Schätzchen«, sagte Frances und reichte ihm ihren leeren Becher zum Auffüllen. »Sonst müssen wir ihn eben berühmt machen.«
    In Flagstaff gingen sie in einen trüben kleinen Einkaufscenter-Sushi-Laden direkt an einer breiten Verkehrsader im Abendstau. Er war Mexikanisch und Spaghetti leid und wollte Fisch, selbst wenn er ihn roh essen musste. Er würde nie ein echter Westler werden, begriff er; er musste einmal in der Woche den Ozean sehen, und Meeresfrüchte waren einfach gesünder. Auf der Suche nach dem Restaurant, während vor der bläulichen Ferne Ampeln aufstrahlten, war ihm aufgegangen, dass er schon einmal in Flagstaff gewesen war – in den Achtzigern, auf einer zehntägigen Überland-Ferienreise mit der ganzen Cameron-Familie nach Disneyland. Die hatte er irgendwie vergessen. Aber natürlich sah heute alles anders aus. Die Straßen waren alle doppelt so breit gemacht worden, und es gab jetzt Tausende Motels und Burgerfilialen und Autowaschanlagen. Komisch, mal in einer Stadt gewesen zu sein und das komplett ausgeblendet zu haben. Natürlich konnte es auch sein – gerade begann er, die Erinnerung schon wieder zu vergessen –, dass er Flagstaff nur geträumt oder vielleicht im Fernsehen gesehen hatte.
    Von dem kleinen Teakimitat-Tisch am Fenster spähte Frances zu der leeren Telefonzelle draußen auf dem Parkplatz. Sie wollte Ed anrufen. Er würde bald ins Bett gehen, obwohl der Himmel über den Berggipfeln hier noch hell war. Sie wusste nicht mehr, wann sie ihn das letzte Mal angerufen hatte. Und es tat ihr Leid, dass sie sich derart besoffen hatte, Leid, dass sie einen Hasen überfahren hatte, Leid, dass sie ihren Mann komplett vergessen hatte. Es war so ungewöhnlich, so frei zu sein, mit jemandem zu vögeln, an dem ihr absolut nichts lag, oder überhaupt mit jemandem zu vögeln. Es war verwirrend und sogar etwas peinlich.
    Howard aß Seebarsch-Tempura und ließ sie gern gehen, als sie telefonieren wollte. Sie trat nach draußen in den warmen Abend, stellte sich neben den Lincoln und machte den Anruf von ihrem Handy. Eine Nebenstelle der Polizei war in einem leeren Laden eingerichtet worden. Durch die Glasfenster konnte man die Beamten hinter Schreibtischen sehen, am Telefon und bei fluoreszierendem Licht schreibend. Außerdem war ein junger Schwarzer drin, offenbar die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Zwei Polizisten neben ihm lachten, als hätte er gerade etwas Lustiges gesagt.
    »Hallo, Liebes«, sagte sie munter zu Ed über die große Entfernung hinweg. Sie wollte gern gut gelaunt klingen. »Rate mal, wo ich bin. In Flagstaff.«
    »Aha. Und?«, sagte Ed. »Wo ist das, Texas?« Ed litt an einer seltenen Blutkrankheit, durch die sich seine Knochen von den Zehen an aufwärts auflösten, und er hatte oft Schmerzen. Er nahm Steroide und musste eine strenge Diät halten, die ihm entweder Dauerhunger oder Brechreiz einbrachte. Er hatte fast immer schlechte Laune. Als sie Ed kennen lernte, der fünfzehn Jahre älter war, war er stark wie ein Rennpferd und hatte eine eigene Firma, die Jet Skis verkaufte. Jetzt konnte er nicht mehr arbeiten und saß nur vorm Fernseher und schluckte seine Medikamente.
    »Nein, Dummchen, in Arizona«, sagte Frances. »Aber rate mal, wo ich hinfahre. Das glaubst du nie.« Sie überlegte, ob sie »rate mal, wo wir hinfahren« gesagt hatte.
    »Bulgarien«, sagte Ed. »Iran. Was weiß ich. Wen juckt’s. Ich bin ja nicht dabei.«
    »Zum Grand Canyon«, sagte sie und kratzte Begeisterung zusammen. Sie merkte, wie ihr Mund sich unwillkürlich zu einem Lächeln öffnete. Sie lächelte für Ed, neben ihrem großen roten Lincoln.
    An Eds Ende tat sich Schweigen auf.
    »Zum Grand Canyon«, sagte Frances noch einmal. »Ist das nicht toll? Ich werde ihn morgen sehen.« Bei den Einzelheiten musste sie aufpassen. Sie könnte sagen, dass sie mit einer der Lesben hingefahren wäre. Das würde Ed garantiert brüllkomisch finden.
    »Und was dann?«, sagte Ed reizbar. »Du siehst ihn, und dann?«
    »Das weiß ich gar nicht so richtig.«
    Wieder Schweigen. Ed war von irgendetwas abgelenkt. Wahrscheinlich das Spiel der Red Sox. Kurz schoss ihr durch den Kopf, zu sagen: »Ich fahre mit einem Mann zum Grand Canyon, mit dem ich jede Nacht ficke

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