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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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du wahrscheinlich schon.«
    »Hab’s schon mal gehört«, sagte Howard und stand auf, um in sein Zimmer zu gehen.
    Im Auto saß er nicht auf der richtigen Seite, um den Sonnenuntergang zu sehen. An der Interstate 15 Richtung Flagstaff nichts als karges Gestrüpp, und auf der anderen Seite des Autos, wo die Sonne tatsächlich unterging, abschreckende, baumlose Berge. Ansonsten kriegte man nur zersiedeltes Gebiet zu sehen – große Tankstellen, Einkaufszentren, halb fertige Kinocenter, ganze Straßenzüge voller neuer Filialen von Restaurantketten, Wohnhäuser, die verstreut an ausgetrockneten, befestigten Flussbetten lagen, daneben gigantische Golfplätze mit Hunderten von Rasensprengern, die die Luft in Sprühnebel verwandelten. Es gab nichts Interessantes oder Originelles oder Urwüchsiges zu sehen, nur immer mehr Menschen, die den Raum anfüllten, wo früher keiner hinwollte. Der einzige Grund dafür, hier draußen zu leben, dachte er, war, dass man davor an einem noch schlimmeren Ort gelebt hatte. Das hier war das moderne Äquivalent der verschleppten Stämme. Das Seltsamste an dieser Fahrt waren die vielen überfahrenen großen Eselhasen, die zu Dutzenden den Highway zumüllten. Bei sechzig hörte er auf zu zählen. Mary glaubte, dass atmosphärische Umstände, für die der Mensch nicht empfänglich war, Tiere dazu brachte, sich vor Autos zu werfen. In Connecticut waren das Hirsche, Waschbären und Opossums. Irgendwann würde es auch Menschen treffen – vielleicht die Menschen hier draußen in der Wüste. Vielleicht gehörten sie ja zu einer Sekte, die das plante.
    Frances hatte einen neuen roten Lincoln Town Car gemietet – »Judenkanu« nannte sie ihn –, ein großes Feuerwehrauto mit unberührten Sitzen aus weißem Leder, roten Fußmatten, blitzblanken Aschenbechern und einem schweren Geruch nach neuem Auto. Er durfte nicht fahren, denn er war nicht Frances’ Mann, ebenfalls hervorragend. Er hatte seine Maklerkongress-Kleidung abgelegt und seine grünen Frotteeshorts angezogen, dazu ein weißes T-Shirt und ein Paar alte Basketballschuhe. Wenn er den Sitz zurückschob, konnte er seine Beine ausstrecken und an der Kopfstütze dösen. Das Ganze war eine runde Sache.
    Frances saß bester Laune hinter dem großen weißen Ledersteuer. Sie hatte ihr Grand-Canyon-Buch, ihr Handy und ein paar lärmige Tito-Puente- CD s mitgebracht, auf denen viel laute Bongomusik war. Sie hatte sich ein paar enge weiße Bermudas angezogen, eine blaue Segeltuchbluse mit einem gemalten weißen Anker vorn drauf, winzige Saphirohrringe und ein Paar rosa Keds mit kleinen betroddelten Halbsöckchen. Außerdem hatte sie eine Viertelflasche billigen Gin gekauft, den sie beide aus weißen Styroporbechern tranken, eislos.
    Der Plan lautete, in Flagstaff zu Abend zu essen, bis zum Einbruch der Nacht weiterzufahren und dann in einem Motel zu übernachten, möglichst nah am Eingang zum Canyon, so dass sie früh aufstehen und das große leere Loch bei Tagesanbruch sehen konnten. Dann, so glaubte Frances, würde es spirituell am wirkungsvollsten sein. »Ich habe ja nie gewusst , dass ich ihn sehen wollte, ja.« Sie fuhr mit dem Becher in einer Hand. »Aber dann hab ich davon gelesen und wusste, dass ich ihn sehen musste. Die Indianer dachten, er ist das Tor zur Unterwelt. Teddy Roosevelt hat Berglöwen darin umgebracht.« Einen Eselhasen hatte sie schon platt gefahren. »Uups, ’tschuldigung. Scheiße«, aber dann vergaß sie es wieder. »Die Conquistadores kamen im Jahre fünfzehnhundertsowieso«, fügte sie mit mutwilligem Seitenblick auf Howard hinzu. Der dachte an den überfahrenen Hasen und starrte trübsinnig auf einen großen Kinokomplex, der aussah wie eine Jukebox auf altägyptisch. Eine breite, unverpachtete Fläche aus schwarzem Asphalt ohne Randstreifen lag zwischen dem Kino und dem Highway. Nicht lange, stellte er sich vor, und auch dort würde es von neuen Autos und Leuten wimmeln. Und dann, in zehn Jahren, wäre damit wieder Schluss.
    »Hab ich nie drüber nachgedacht«, antwortete er (was hatte sie gerade gesagt?) und überlegte, welche Filme hier wohl vor allem gezeigt wurden. Western. Weltraumfilme. Idiotische Komödien über Golf. Hier draußen war es wieder das reinste Kalifornien, bloß schlimmer. »Kalipornien« hieß es vor zwei Jahren überall in Maklerkreisen. Langsam stieg ihm wohl der Gin zu Kopf.
    »So groß wie der Grand Canyon, sagt man nicht so?«, fuhr Frances träumerisch fort. »Mein Vater hat das immer

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