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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Himmel.
    »Niggerärsche«, sagte mein Vater. »Kümmern sich nicht um den richtigen Moment zum Schießen. Die können einfach nicht anders. Sitzt in den Genen.« Er schien mit niemandem zu reden, lehnte nur wartend an der Seitenwand des Erdsitzes.
    »Der richtige Moment war schon längst«, sagte Renard Junior, die Augen gen Himmel verdreht. Er hatte zwei hölzerne Entenpfeifen an Lederriemen um seinen Hals geschlungen. Er musste uns immer noch seinen Ruf vorführen, und das wollte ich auch, denn ich wollte eine V-Formation Enten sehen, die wendete und auf unsere Lockinszenierung zuflog, ich fand, das müsse so sein.
    »Ach ja, Mr Glitschi-Fabritschi? Tatsächlich?« Mein Vater wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und dann über die Haare, schloss die Augen und riss sie wieder auf, als versuchte er, seine Aufmerksamkeit auf das, was wir taten, zu konzentrieren, so schwer es ihm auch fiel. Im Erdsitz roch es säuerlich, aber auch nach seinem Whiskey und nach der Pomade, die sich Renard Junior in sein dickes Haar geschmiert hatte. Die schwarz-weißen Schuhe meines Vaters waren schon verkratzt und voller Schlamm, Schlamm klebte auch auf seiner Frackhose und seinem rosa Hemd, sogar auf seiner Stirn. Für diesen Ort sah er ziemlich ungewöhnlich aus. Als hätte ihn einer auf dem Weg zu einer Party aus dem Flugzeug gekippt.
    Renard Junior reagierte nicht darauf, dass mein Vater ihn »Glitschi-Fabritschi« genannt hatte, aber es war klar, dass es ihm nicht gefiel. Ich fragte mich, warum er überhaupt hier war und sich so behandeln ließ. Wobei es dafür natürlich einen Grund gab. Weniges auf der Welt ist wirklich ein Rätsel. Hinter dem meisten steckt irgendwo eine enttäuschende Erklärung, egal wie ausgefallen es anfangs wirken mag.
    Nach einer Weile holte Renard eine Schachtel Zigaretten hervor, steckte sich eine in den Mund, zündete sie aber nicht an – hielt sie nur zwischen seinen feuchten Lippen, die groß und sinnlich waren. Er war schon ein komisch aussehender Mann mit seinem Sternenhemd und dem Kopf, der zu groß für seinen Körper war – ein Mann, wahrscheinlich in den Vierzigern und knapp am Zwerg vorbeigeschrammt.
    »Na bitte, da hast du den waschechten Yat «, sagte mein Vater. Er stützte sich auf seine Flinte, Renard Junior im Blick. »Achte auf die nicht angesteckte Zigarette, wie sie vorn aus dem viel zu expressiven Mund rausbaumelt, Junge. Wenn du durch die Straßen von Chalmette, Louisiana, fährst, wirst du Männer und Frauen und Kinder sehen, die tatsächlich alle blutsverwandt mit Mr Fabrice sind und in Wathosen in ihren briefmarkengroßen Vorgärtchen stehen und nicht angesteckte Picayunes im Mund hängen haben, genau wie der hier. Ecce homo .«
    Renard Junior tat unerwartet den Mund auf, wobei die Zigarette irgendwie auf seiner großen hässlichen lila Zunge kleben blieb. Er warf meinem Vater einen Blick zu, lehnte sich nach vorn auf seine Flinte, verzog das Gesicht und schnippte die Zigarette dann rückwärts in seinen Mund, wo er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, verschluckte. Dann betrachtete er mich, wie ich da zwischen ihnen beiden hockte, und grinste. Seine Zähne waren groß und voll brauner Flecken. Es hatte etwas Lüsternes. Ich wusste nicht recht, wie ich darauf kam, aber ich wusste genau, es war so.
    »Achte nicht auf ihn«, sagte mein Vater. »Das sind die Leute, mit denen wir fertig werden müssen. Animierhengste, fahrendes Volk, Vieh. Aber jetzt erzähl mal was von dir, Buck. Steckst du derzeit in irgendwelchen unmöglichen Situationen? Ich bin in letzter Zeit nämlich spezialisiert auf unmögliche Situationen.« Mein Vater verschob seine Buster-Brown-Schuhe auf den verschlammten Bodenplanken, so dass die Flinte, eine wunderschöne Beretta-Bockdoppelflinte mit silberner Einlegearbeit, plötzlich wegrutschte und mit lautem Scheppern quer über meine Füße fiel – die Läufe zeigten direkt auf Renard Juniors Knöchel. Mein Vater versuchte nicht mal, nach der Waffe zu greifen, als sie umkippte.
    »Heb das sofort auf«, sagte er wütend zu mir, als hätte ich die Flinte fallen lassen. Ich tat es trotzdem. Ich hob sie auf und gab sie ihm zurück, und er lehnte sie an die Seitenwand des Erdsitzes und hielt sie mit dem Knie fest. Irgendetwas an diesem fast gewalttätigen Akt, seine Flinte genau dort hinzustellen, wo er sie haben wollte, erinnerte mich an meinen Vater von vor über einem Jahr. Er war stets ein Mensch abrupter Handlungen und Stimmungsumschwünge gewesen,

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