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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Vater ließ sein breites Weißzahnlächeln in meiner Richtung aufblitzen, und ich merkte genau, dass er Renard Junior piesacken wollte, der nichts zu mir sagte, sondern weiter seine Arbeit machte, nämlich das Boot belud. Ich fragte mich, wie viel er wohl von meinem Vater wusste und, falls er alles wusste, was er davon hielt.
    »Ich konnte meine richtige Jagdkleidung nicht finden«, sagte mein Vater und schaute zwischen die Schöße seines offen stehenden Mantels. Er schlug sie auseinander, und ich sah, dass er einen Frack mit rosa Hemd, eine leuchtend rote Fliege und eine rosa Nelke trug. Außerdem hatte er Buster-Brown-Schuhe in Weiß und Schwarz an, die für die Weihnachtszeit unpassend waren und nach dem Ausflug in die Sümpfe sowieso hinüber sein würden. »Ich habe die Sachen damals bei Mutter in der Garage lagern lassen«, sagte er mehr zu sich selbst. »Und heute Morgen, recht früh, stellte sich heraus, dass ich den Schlüssel verloren habe.« Er schaute mich an, immer noch lächelnd. »Du hast sehr gute braune Sachen an«, sagte er. Ich hatte einfach meine Khakihosen und ein Hemd von der Schule angezogen – ohne die Messinginsignien –, dazu schwarze Turnschuhe und eine alte Segeltuchjacke und Mütze, die ich in einem Schrank gefunden hatte. Das war nicht so ganz die Entenjagd, von der mir meine Schulfreunde erzählt hatten. Mein Vater war nicht mal im Bett gewesen, er hatte die Nacht hindurch getrunken und gefeiert. Wahrscheinlich wäre er lieber dort geblieben, bei den Leuten, die jetzt seine Freunde waren.
    »Was für wichtige Bücher hast du denn in letzter Zeit gelesen?«, fragte mein Vater aus irgendeinem Grund von unten aus dem Boot. Er drehte sich um, als ein Boot voller Jäger mit dem großen schwarzen Labrador, den ich hatte bellen hören, langsam an uns vorbei den Bayou Baptiste hinabtuckerte. Ihr Führer hatte einen Scheinwerfer dabei, mit dem er über die dunstige Wasseroberfläche leuchtete. Sie gingen auf Entenjagd. Ich konnte allerdings nicht erkennen, wohin, denn jenseits vom gegenüberliegenden Ufer des Bayou erstreckte sich nur eine flache, schwarze, baumlose Fläche, die im Dunkeln endete. Ich hatte keine Ahnung, wo es wohl Enten geben mochte oder in welcher Richtung die Stadt lag, nicht einmal, wo Osten war.
    »Ich lese das Inferno «, sagte ich und war etwas befangen, weil ich auf einem Bootssteg »Inferno« gesagt hatte.
    »Ach, das«, sagte mein Vater. »Ich glaube, das ist Mr Fabrices Lieblingsbuch. Canto Fünf: die die Vernunft dem Trieb zulieb entweihn . Ich finde allerdings, du solltest Yeats’ Autobiografie lesen. Die habe ich in St. Louis gelesen. In einem Brief an seinen Freund, den großen John Synge, schreibt Yeats, man sollte Stoizismus, Askese und Ekstase miteinander verbinden. Ich fände das gut, und du?« Mein Vater wirkte selbstsicher und herausfordernd, als erwartete er, dass ich wüsste, was er damit meinte und wer Yeats war und Synge. Wusste ich aber nicht. Und ich hatte auch keine Lust, so zu tun als ob, vor einem Säufer, der im Frack mit rosa Nelke in einem Entenboot saß.
    »Ich kenne sie nicht. Ich kenne das alles nicht«, sagte ich und fand es grässlich, das zugeben zu müssen.
    »Diese drei Dinge stellen das perfekte Gleichgewicht im Leben dar. Ich habe allerdings erst zwei davon zu Stande gebracht. Vielleicht anderthalb. Und wie geht es deiner Mutter?« Mein Vater fing an, sich den Mantel zuzuknöpfen.
    »Gut«, log ich.
    »Ich höre, sie hat sich eine neue Haushaltshilfe genommen.« Er schaute nicht auf, fummelte nur weiter an seinen Knöpfen herum.
    »Sie lernt singen«, sagte ich und hielt Dubinion da raus.
    »Ach ja«, sagte mein Vater, schaffte den letzten Knopf und klopfte die Vorderseite des Mantels ab. »Sie hat schon immer eine hübsche kleine Stimme gehabt. Eine liebliche Kirchenstimme.« Er sah zu mir hoch und lächelte, als wüsste er, dass mir nicht gefiel, was er sagte, und es wäre ihm egal.
    »Sie ist schon viel besser geworden.« Ich überlegte, ob ich auf der Stelle nach Hause fahren sollte, aber wie hätte ich dort hinkommen sollen.
    »Ganz bestimmt. Also, geht’s jetzt los, Fabri-tschi?«, sagte mein Vater abrupt.
    Renard stand hinter mir auf dem Steg. Andere Boote voller Jäger waren bereits aufgebrochen. Ich konnte sehen, wie ihre Lampen hier und dort über dem Wasser aufblitzten, immer weiter weg von der Stelle, wo wir immer noch festsaßen. Das leise Puttputt ihrer Außenborder wurde vom Nebel gedämpft. Ich bestieg das Boot und

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