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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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knorrigen Männchen, das bis zu den Oberschenkeln in trübem, stinkendem Wasser stand und seine Haare lang und gewellt trug wie der weiße Pöbel.
    »Wann kommen die Enten?«, fragte ich, nur um ihm etwas entgegnen zu können. Mein Vater erholte sich gerade, spuckte ins Wasser und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
    Renard lachte in sich hinein und ging wohl davon aus, dass es mein Vater hörte. »Wenn sie so weit sind zu kommen. Nicht anders als du und ich«, sagte er, zerrte die großen Leinensäcke mit den Lockenten hervor und schien mich von nun an überhaupt nicht mehr zu bemerken.
    Renard hatte einen hölzernen Einbaum weiter hinten im dichten Gras verborgen, und nachdem er unser Boot mit Strohmatten abgedeckt hatte, benutzte er den Einbaum, um die Lockenten ins Wasser zu setzen, während es am Himmel allmählich heller wurde. Unser Erdsitz lag allerdings noch im Dunkeln. Mein Vater und ich setzten uns nebeneinander auf die Obstkisten und sahen ihm dabei zu, wie er die beschwerten Entenattrappen aussetzte, so dass sich vor uns zwei Gruppen bildeten, mit einem Streifen offenen Wassers dazwischen. Allmählich erkannte ich, wie sehr sich der echte Sumpf von meiner Vorstellung unterschied. Erstens war die Wasserfläche ringsum kleiner, als ich gedacht hatte. Weitere Grasinseln, ein paar hundert Meter entfernt, kamen allmählich in Sicht, und eine grüne Baumreihe tauchte in der Ferne auf, aber näher als erwartet. Ich hörte eine Sirene und dann Musik, die aus einem Auto bei Reggio kommen musste, und irgendwann schien die Sonne, eine weiße Scheibe, die hinter dem Dunst brannte und die ich auf der genau entgegengesetzten Seite des Sumpfes vermutet hatte. Tatsächlich gefielen mir all die verwirrenden und verstörenden Eigenheiten dieses Ortes, denn sie verankerten mich im Hier und Jetzt, und so vergaß ich mit der Zeit, was ich von diesem Tag und dem Leben und meiner Zukunft hielt, nicht besonders viel nämlich.
    In dem Erdsitz, der nur drei Meter lang und einszwanzig breit war, lagen leere Patronenhülsen und Bonbonpapier und Zigarettenstummel auf den Planken herum, und mein Vater zog seine Halbliterflasche Whiskey hervor, die zu drei Vierteln leer war. Als wir uns auf den Kisten niedergelassen hatten, saß er eine Weile da und sprach weder mit mir noch mit Renard, der inzwischen zu uns in den Erdsitz geklettert war, um auf die Enten zu warten. Irgendetwas schien über meinen Vater gekommen zu sein, eine große Müdigkeit oder ein Unbehagen oder eine Sorge, und es riss ihn aus dem Augenblick heraus, aus dem, was wir dort vorhatten. Renard packte die Flinten aus. Meine war die alte, bleischwere A. H. Fox, eine 20er-Doppelflinte, die ich oft genug im Haus meiner Großmutter gesehen und in der Hand gehabt hatte, um ihre Eigenheiten zu kennen, ohne sie je benutzt zu haben. Meine Großmutter nannte sie immer ihre »Lady-Flinte«, und sie hatte damit geschossen, als sie jung war und mit dem Vater meines Vaters auf Jagd ging. Renard gab mir sechs Patronen, und ich lud die Kammern und hielt die Läufe aufrecht zwischen den Knien, während wir in den silbernen Himmel schauten und darauf warteten, dass die Enten auf unsere Attrappen hereinfielen.
    Mein Vater lud seine Waffe nicht, sondern saß zusammengesackt an den Holzlatten, die Flinte lehnte an den Grasmatten, die die Vorderseite des Erdsitzes bildeten. Nachdem wir eine Weile dagehockt und in den Himmel geschaut und nur ein Entenpaar weit außerhalb unserer Reichweite gesehen hatten, hörten wir die anderen Jäger in den Sümpfen schießen, manchmal mehrere gleichzeitig, mit furchtbarem Geknall. Da erkannte ich, dass es auf der gegenüberliegenden Seite des Teichs, an dem wir saßen, noch zwei weitere Erdsitze gab – dreihundert Meter entfernt, aber sichtbar, nachdem sich meine Augen an das Licht und die unregelmäßige Wahrnehmung des Horizonts gewöhnt hatten. Eine einzelne Ente, die ich beim Flug am Himmel beobachtet hatte, rauschte zunächst empor, als die anderen Jäger schossen, stürzte dann aber abrupt nach unten, und ich hörte einen Hund bellen und die hohe, lachende Stimme eines Mannes in der weichen Luft. »Holla, holla«, sagte die Stimme des Mannes, sehr deutlich trotz der Entfernung. »Mann Gottes. Der kleine Furzklopper hier war ja schon halb in Terre Bonne Parish, als ich ihn runtergeholt habe.« Ein anderer Mann lachte. Das alles kam mir sehr nah vor, dabei hatten wir gar nicht geschossen und starrten nur in den milchigen

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