Eine Vielzahl von Sünden
hielt – dass er nicht besser war als die meisten anderen Männer. Ich nahm an, dass man so weit kam, wenn man zu sehr darauf achtete, was opportun war, und dass ich womöglich in meinem späteren Leben denselben Fehler machen würde, weil ich ihn zum Vater hatte. Aber in jenem Augenblick beschloss ich, darauf zu achten, dass ich im Leben nicht seine Fehler machen würde.
»Da ist ja noch eine Enti-Ente«, sagte mein Vater. Er betrachtete den Himmel und wirkte gedankenverloren. »Fabrice, darf ich mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich mich so hässlich aufgeführt habe, und Sie bitten, noch einmal zu paken? Das wäre so großzügig von Ihnen. So nett.« Mein Vater lächelte Renard Junior seltsam an, der offenbar schmollte.
Aber Renard Junior begann zu paken. Ich sah keine Ente, doch als mein Vater auf den schmutzigen Planken in die Hocke ging, wo sein beschmierter Mantel lag und alles voller leerer Patronenhülsen war, tat ich es ihm nach und senkte den Kopf. Ich konnte den Atem meines Vaters hören, seine Whiskeyfahne riechen, sah seine blassen feuchten Knöchel, die ihn unsicher auf den Planken hielten, konnte sogar seine Haare wittern, die warm und schimmlig rochen. Näher würde ich ihm nie kommen. Und ich begriff, dass das ausreichen musste, dass etwas Besseres wahrscheinlich unmöglich war.
»Wart ab, warte doch«, sagte mein Vater, auf die nassen Planken gekauert, aber nach oben schauend. Er legte seine Finger auf meine Hand, damit ich still war. Ich hatte immer noch nichts gesehen. Renard Junior imitierte den langen, schrillen, krächzenden Ruf, gefolgt von kurzen Ausbrüchen, die ihn tief in seiner Gurgel grunzen ließen, und dann kam wieder der lange Lokomotivenpfiff. »Noch nicht ganz«, flüsterte mein Vater, »noch nicht ganz. Lass sie näher rankommen.« Ich legte den Kopf schräg und drehte die Augen zur Seite, um da oben irgendetwas zu erkennen. »Nein«, sagte mein Vater mir ins Ohr. »Nicht nach oben schauen.« Ich holte tief Luft und atmete wieder all die Gerüche ein, die von meinem Vater kamen. Und dann sagte Renard Junior: »Los jetzt, meine Güte! Macht schon! Schießt doch. Schießt endlich. Worauf wartet ihr noch?«
Da stand ich einfach auf, ohne zu wissen, was ich sehen würde, und riss meine Flinte an die Schulter, bevor ich richtig hinsah. Und was ich sah, was da tief über die Lockenten wegflog, den Kopf zur Seite gewandt und nach unten auf das braune Wasser spähend, war eine einsame Ente. In dem dunstversengten Morgenlicht konnte ich den grünen Kopf und die dunklen Kugelaugen erkennen und die sirrenden Flügel hören. Ich glaube kaum, dass sie mich sah oder meinen Vater und Renard Junior rufen hörte: »Schieß, schieß, o Gott, jetzt schieß doch, Buck!« Denn als mein Gesicht und mein Flintenlauf über der Vorderwand des Erdsitzes auftauchten, veränderte die Ente nicht ihren Kurs oder begann mit dem Rückwärts-Aufwärts-Manöver, das ich schon gesehen hatte und durch das sich Enten offenbar zu retten pflegten. Sie schaute einfach weiter nach unten und flog langsam dahin und machte ihre Geräusche in der geröteten Luft über dem Wasser und über uns allen.
Und als ich die Ente über meinen Flintenläufen entdeckte, riss ich die Augen weit auf, denn so schießt man mit dieser Art Flinte, das wusste ich, und dabei dachte ich: Es ist nur eine einzige Ente. Vielleicht kommen danach keine mehr. Was bringt schon eine abgeschossene Ente? In meinen Träumen waren die Enten zu Hunderten herumgeflogen, und mein Vater und ich schossen sie, dass sie nur so vom Himmel regneten, und es war vollkommen egal, wie viele, weil wir es zusammen machten. Aber das hier sollte ich allein tun, und eine einzelne Ente erschien mir falsch, als nähme sie eine Bedeutung an, die hundert Enten nicht hätten annehmen können, jedenfalls wenn ich derjenige war, der sie schoss. Was tat ich also? Ich schoss nicht und senkte meine Flinte.
»Was ist los?«, sagte mein Vater vom Boden aus, direkt unter mir, immer noch auf allen vieren in seinem ruinierten Frack, das Gesicht nach unten gewandt, in Erwartung meines Schusses. Die einsame Ente war jetzt an uns vorbei und außer Reichweite.
Ich sah zu Renard Junior, der auf seiner Obstkiste saß, klein genug, um nicht kauern zu müssen. Er schaute mich an und zog ein seltsames Gesicht, wie ich es noch nie gesehen hatte und auch nie vergessen werde. Er lächelte und klapperte in schneller Folge mit den Augenlidern, dann erhob er beide Hände, die Handflächen bis
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