Eine Vielzahl von Sünden
heraus zu sich nahm.
»Glaubst du, jemand hat ihn als Botschaft bei uns gelassen?«, sagte Sallie. Ihre Stimme klang seltsam. Ich stellte mir vor, wie sie in der Küche stand, eine frisch gebrühte Tasse Tee vor sich auf dem Tresen aus mexikanischen Kacheln. Es ist gut, dass sie nicht mehr als Anwältin arbeitet. Sie verstrickt sich viel zu schnell gefühlsmäßig in die Dinge. Distanz ist etwas ganz Wesentliches.
»Was für eine Botschaft?«, fragte ich und schaute aus dem Fenster meines Hotelzimmers.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. Seltsamerweise fing es in St. Louis gerade an zu schneien, kleine trockene Flocken vor dem Hintergrund eines leeren, bernsteinfarben beleuchteten Stadtpanoramas mit der obersten Rundung des großen silbernen Bogens. Es ist eine nette, herzliche Stadt, allerdings in keiner Weise besonders. »Ich weiß auch nicht, ob jemand dachte, wir wären die Richtigen für die Versorgung dieses Welpen, oder uns einfach seine Verachtung mitteilen wollte.«
»Weder noch«, sagte ich. »Ich würde sagen, es war der reine Zufall. Unser Gartentor war zufällig da. Das ist alles.«
»Stört dich das?«
»Was?«
»Der Zufall.«
»Nein«, sagte ich. »Ich finde ihn tröstlich. Er befreit das Denken.«
»Mir kommt überhaupt nichts zufällig vor«, sagte Sallie. »Das Ganze sieht so aus, als steckte irgendein Plan dahinter.«
»Morgen klären wir das«, sagte ich. »Wir bringen den Hund weg, und dann wird alles besser.«
»Für uns, meinst du? Ist irgendetwas mit uns nicht in Ordnung? Ich habe heute Abend einfach so ein schlechtes Gefühl.«
»Nein«, sagte ich. »Mit uns ist alles in Ordnung. Und worauf es hier wirklich ankommt, sind doch wir. Gute Nacht, mein Schatz.«
»Gute Nacht, Bobby«, sagte Sallie resigniert, und wir legten auf.
In dieser Nacht im Mayfair Hotel, wo hinter den offenen Vorhängen der Fenster der Frühlingsschnee und die orange leuchtende Dunkelheit zu sehen waren, erlebte ich auch einen merkwürdigen Traum. In diesem Traum war ich auf Entenjagd in den Sümpfen, die unsere Stadt umgeben. Es war Winter und früh am Morgen, und jemand hatte mich in einen Erdsitz auf die Entenjagd mitgenommen, noch bevor es hell wurde. So etwas mache ich übrigens immer noch. Aber als ich mich mit meiner Schrotflinte in dem Erdsitz eingerichtet hatte, stellte ich fest, dass neben mir auf der Holzbank einer meiner Kanzleipartner saß, seine Flinte zwischen den Knien, in eigenartiger roter Jagdkleidung aus Segeltuch – so was würde man nie zur Entenjagd anziehen. Und er hatte den Welpen dabei, denselben, der gerade hinten in unserem Garten saß und der Dinge harrte, die auf ihn zukommen mochten. Mein Partner war mit einer Frau zusammen – entweder war es die Schauspielerin Liv Ullmann oder eine Frau, die ihr sehr ähnlich sah. Er hieß Paul Thompson, und diesen Mann verdächtige ich (außerhalb meines Traums) mit gutem Grund, eine Affäre mit Sallie gehabt zu haben, eine Affäre, die uns beinahe auseinander gebracht hätte, ohne dass wir je darüber sprachen, bis Paul, der älter als ich war und dick und kräftig, plötzlich starb – übrigens in einem Erdsitz auf der Entenjagd, an einem schrecklichen Herzanfall. So was kann passieren, wenn geschossen wird, vor lauter Aufregung.
In meinem Traum sprach Paul Thompson zu mir und sagte: »Wie geht es Sallie, Bobby?« Ich sagte: »Gut, Paul, danke der Nachfrage«, denn wir taten ja so, als hätten er und Sallie die Affäre nie gehabt, die mir ein eigens engagierter Privatdetektiv fast lückenlos bewiesen hatte. Die Liv-Ullmann-Frau sagte nichts, saß nur an die Holzwände des Erdsitzes gelehnt und wirkte traurig, mit ihrem langen, glatten blonden Haar. Der kleine weiß-schwarze Welpe saß auf dem Plankenboden und starrte mich an. »Das Leben ist so zerbrechlich, die Art und Weise, wie wir es erfahren, Bobby«, sagte Paul Thompson oder sein Geist zu mir. »Ja, stimmt«, sagte ich. Ich nahm an, er bezog sich auf das, was er mit Sallie getan hatte. (Es hatte einige verdächtige Fotos gegeben, aber ehrlich gesagt, machte sich Paul, glaube ich, nicht viel aus Sallie. Eher ein Fall von Gelegenheit-macht-Diebe.) Währenddessen starrte mich der Welpe weiter an. Dann lächelte die Liv-Ullmann-Frau ironisch.
»Reden über die Wahrheit führt leicht dazu, sie zu zerstören, oder?«, sagte Paul Thompson.
»Ja«, antwortete ich, »da haben Sie ganz sicher Recht.« Und dann war es plötzlich einen Moment lang so, als hätte der Welpe Pauls Worte gesagt.
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