Eine Vielzahl von Sünden
Flughafen und den Flug zurück nach St. Louis fertig machte. »Ich habe heute etwas Zeit. Dieser ganze Marathon-Stress soll schließlich nicht mein ganzes Leben beherrschen.« Sie schaute aus dem Fenster im ersten Stock wieder in den Garten hinunter. Ich weiß nicht genau, was eigentlich mit dem Welpen hätte passieren sollen, wenn es nach mir gegangen wäre. Ich nehme an, ich hoffte darauf, dass jemand sich meldete. Aber er war immer noch im Garten. Wir hatten keine weiteren Schritte geplant, ich hatte allerdings die Agentur »Ein Herz für Hunde« erwähnt.
»Armes kleines Ding«, sagte Sallie mit unheilschwangerer Stimme. Sie setzte sich auf das Bett neben meinen Koffer, ließ ihre Hände zwischen den Knien hängen und starrte zu Boden. »Ich bin heute Morgen nach draußen gegangen und habe versucht, mit ihm zu spielen. Das wollte ich dir sagen«, sagte sie. »Du warst gerade unter der Dusche. Aber er kann gar nicht spielen. Er hat nur gebellt und gepinkelt und dann ziemlich widerlich nach mir geschnappt. Wahrscheinlich hat sein früherer Besitzer das lustig gefunden. Eigentlich ein Verbrechen.« Sie wirkte traurig darüber. Ich dachte an den finsteren schwarz gekleideten Jungen mit den blauen Augen, der in dem stinkenden Eingang gegenüber vom French Market mit seinem neuen kleinen Hund und seinen drei Jüngern gehockt hatte. Sie schienen einem von Sallies Kriegsträumen entsprungen zu sein.
»Diese ›Ein Herz für Hunde‹-Leute werden die Sache wahrscheinlich ruck, zuck regeln«, sagte ich und band meine Krawatte vor dem Badezimmerspiegel. Es war immer noch zu kalt für die Jahreszeit in St. Louis, und ich hatte meinen Wollanzug an, obwohl es in New Orleans schon sommerlich war.
»Wenn sie das nicht tun und auch keiner anruft«, sagte Sallie düster, »dann musst du ihn ins Tierheim bringen, wenn du zurückkommst. Können wir uns darauf einigen? Ich habe gesehen, was er mit den Pflanzen gemacht hat. Die kann man ersetzen. Aber er ist wirklich nicht unser Problem.« Sie drehte sich um und sah mich an, von der anderen Seite des Bettes, in dem ihre längst verstorbene schwedische Großmutter vor langer Zeit ihre Hochzeitsnacht verbracht hatte. Der Ausdruck auf Sallies rundem Gesicht war bedrückt, aber unmissverständlich entschlossen. Sie war bereit, sich versuchsweise um den Welpen zu kümmern, weil es zu ihrem Lebensgefühl an diesem besonderen Tag passte und weil ich wegfuhr und sie wusste, es würde mir besser gehen, wenn sie es versuchte. Ein bewundernswerter menschlicher Zug, so kommt es ganz sicher zu den meisten guten Taten – man hat Gelegenheit dazu und keinen überwältigenden Grund, etwas anderes zu tun. Aber mir war klar, dass ihr eigentlich egal war, was mit dem Welpen passierte.
»Das ist mir absolut recht«, sagte ich und lächelte sie an. »Ich hoffe auf einen guten Ausgang. Danke, dass du ihn dort hinbringst.«
»Weißt du noch, wie wir zu Robert Frosts Hütte gewandert sind?«, sagte Sallie.
»Ja, sicher.« Ich wusste es wirklich noch.
»Na ja, wenn du aus Missouri wiederkommst, fände ich es schön, wenn wir da mal wieder vorbeischauen könnten.« Sie lächelte mich scheu an.
»Das kann ich bestimmt einrichten«, sagte ich und machte den Koffer zu. »Klingt toll.«
Sallie beugte sich seitwärts zu mir und streckte mir ihr glattes, perfektes Gesicht zum Kuss entgegen, als ich mit dem Gepäck am Bett vorbeiging. »Das wollen wir doch nicht aufgeben«, sagte sie.
»Das werden wir niemals aufgeben«, antwortete ich und beugte mich vor, um sie auf den Mund zu küssen. Dann hörte ich mein Taxi vor dem Haus hupen.
Robert Frosts Hütte ist eine tolle Geschichte von Sallie und mir. Im Frühling unseres ersten Jahres in New Haven kamen wir darauf, uns gegenseitig Frosts Gedichte vorzulesen, als Gegengift für die anstrengenden Stunden, in denen wir Fallgeschichten von Rückgabeklagen oder das Gesetz gegen Unveräußerlichkeitsverfügungen oder Theorien von Vorsatz und Fahrlässigkeit lesen mussten – die üblichen Fesseln, die Jurastudenten zur Prüfungszeit tragen müssen. Ich kann mich heute, sechsundzwanzig Jahre später, nur an wenig aus den Gedichten erinnern. »Erkaufte Freunde sind ein besseres Geleit / als keine, willst du würdig niedergehn. / Sorg vor. Sorg vor zur rechten Zeit.« Wir glaubten zu wissen, worauf Frost hinauswollte: dass man sich in der Welt und im Leben durchschlägt – bis ganz zum Schluss –, so gut es geht. Und so stiegen wir am Ende des Studienjahres, als
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