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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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es warm wurde und unsere Seminare vorbei waren, in den alten Chrysler Windsor, den mir mein Vater geschenkt hatte, und fuhren hoch zu dem Ort in Vermont, wo, wie wir gelesen hatten, Frosts Berghütte lag. Der Staat hatte sie angeblich als Gedenkstätte erhalten, aber man musste weit in die mückenverseuchten Wälder hineinmarschieren, um sie zu finden, nicht einmal der gewundene Forstweg führte bis dorthin. Wir wollten auf Frosts Veranda sitzen, auf irgendeinem einfachen Holzstuhl, wo auch er gesessen hatte, und uns noch mehr Gedichte vorlesen. Für uns als junge Südstaatler, die im Norden studierten, vertrat Frost eine Art altmodischen, aber unbestreitbar authentischen Amerikanismus, einen grundlegenden Einfluss, von dem wir abgetrennt aufgewachsen waren, im Exil gewissermaßen, wegen der Rassenprobleme und wegen lauter absurder Bedenken dem Süden selbst gegenüber, hochgehalten von Leuten, die es hätten besser wissen sollen. Aber wir hatten uns immer nach diesem wichtigen Einfluss gesehnt und identifizierten ihn mit praktizierter Redlichkeit, selbstverständlicher Weisheit und einem Gespür für Fairness, die in einer unprätentiösen künstlerischen Neigung aufgehoben waren. (Später hörte ich, dass Frost überhaupt nicht so gewesen sei, sondern böse und geizig, einer, der besser hassen als lieben konnte.)
    Doch als Sallie und ich bei der kleinen Bohlenhütte im Frühlingswald eintrafen, war sie verschlossen und keiner in der Nähe. Es sah eigentlich so aus, als käme nie einer hierher, auch wenn die Gemeindeschilder darauf hindeuteten, dass dies der richtige Ort war. Sallie ging um die Hütte herum und schaute zu allen Fenstern hinein, bis sie eines fand, das nicht verschlossen war. Als sie mir das sagte, schlug ich vor, hineinzuklettern und herumzustöbern und das Gedicht zu lesen, das wir lesen wollten, und es darauf ankommen zu lassen, dass einer auftauchte und uns wegschickte.
    Doch als wir es geschafft hatten, stellte sich heraus, dass es drinnen viel kälter war als draußen, als wären der Winter und ein Anteil von Frosts wahrem Geist hier eingefangen und von den Bohlen und dem Putz konserviert worden. Es dauerte nicht lange, da stellten wir unsere Lesung ein – nachdem wir vor dem kalten Kamin »Absicht« gelesen hatten und »Mauern ausbessern« und »Der Tod des Tagelöhners«. Wir beschlossen, auch wegen der Kälte, uns in Frosts altes Bett zu legen und dort miteinander zu schlafen; das Bett war so gemacht, wie er es vor Jahren hätte hinterlassen haben können. (Später überlegten wir, dass Frost womöglich nie in der Hütte gewesen war, vielleicht waren wir sogar in die falsche Hütte eingebrochen und hatten es im Bett fremder Leute miteinander getrieben.)
    Aber das war die Geschichte. Das meinte Sallie mit einem Besuch in Robert Frosts Hütte – eine Einladung an mich, nach meiner Rückkehr miteinander zu schlafen, ein Akt, den die Ereignisse des Lebens und die Jahre manchmal in den Hintergrund drängen und dort vergessen. Damals, in einem Augenblick der Panik, als wir glaubten, draußen auf dem Weg Stimmen zu hören, sprangen wir in unsere Kleider und ließen versehentlich unser Frost-Buch auf dem kalten Hüttenboden liegen. Natürlich kam dann gar keiner.
    An diesem Abend sprach ich aus St. Louis mit Sallie, am Ende eines langen Tages voller intensiver Vorbereitungen mit den Anwälten in Missouri (deren Klienten nicht ganz ohne Grund fürchteten, von einer 250-Millionen-Dollar-Gruppenklage in den Ruin getrieben zu werden). Sie hatte aber nur unangenehme Neuigkeiten für mich. Einige Hausbesitzer versuchten, den gesamten Aids-Marathon gerichtlich zu untersagen, wegen einer Routenänderung, die den Lauf zu nahe an ihrem gut situierten Audubon-Place-Viertel vorbeiführte. Außerdem lag einer der ursprünglichen Organisatoren des Marathons inzwischen im Sterben (nicht unerwartet). Dann erwähnte sie noch mehr gute Taten aus den falschen Gründen, diesmal von Seiten ihrer Hospiz-Kollegen, und einige schlicht böse Taten von Seiten anderer Reicher, die den Marathon nicht mochten und sich Aids einfach wegwünschten. Außerdem waren unsere Pläne, den Welpen uptown bei »Ein Herz für Hunde« unterzubringen, komplett fehlgeschlagen.
    »Wir sind los, um ihn impfen zu lassen«, sagte Sallie traurig. »Und er hat sich tadellos benommen, als der Tierarzt ihn auf dem Tisch hatte. Aber als wir dann bei ›Ein Herz für Hunde‹ draußen auf der Prytania Street waren, hat die Frau, eine Mrs Myers, das

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