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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Schmetterlinge auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums einsammelt und in die Büsche setzt, um ihnen eine bessere Überlebenschance zu geben. Ich weiß, das sind sinnlose Akte sinnloser Hilfsbereitschaft. Doch wenn ich so etwas getan habe, sitze ich nachher im Auto und halte nicht gerade weniger von mir als vorher. (Noch später bin ich irgendwann immerhin so weit, mich als Hochstapler zu betrachten, das dann doch.) Aber die Alternative wäre, den Schmetterling dort, wo er liegt, verrecken, die große Schildkröte auf dem Weg zum Teich überfahren zu lassen; und dann würde ich gegen mich selbst Anklage erheben wegen Grausamkeit oder mir das zwangsläufige Gefühl des Verlustes einbrocken. Wahrscheinlich, ließe sich argumentieren, sind diese Anlässe zu gering, um ernsthaft darüber nachzudenken, denn ganz gleich, wie man dabei handelt, man hat es immer nach ungefähr fünf Minuten vergessen.
    Abgesehen von einem zähen Gespräch über meinen Vormittag bei Ruger, Todd und Jennings und über Sallies Sieg bei der Routenverschiebung des Aids-Marathons vom nächsten Samstag, sagten wir auf dem Weg ins Tierheim nicht viel. Sallie hatte die Adresse ganz offensichtlich nachgeschlagen, denn sie nahm eine Ausfahrt von der Interstate-Autobahn, die ich noch nie benutzt hatte und die uns sofort zu einem breiten Boulevard brachte, wo alte Autos auf dem Seitenstreifen parkten und die Gosse voller Papiermüll lag, an irgendwelchen braunen Backsteinhäusern entlang, sozialer Wohnungsbau, wo Schwarze auf ihren Eingangsstufen hockten oder ziellos durch die Straßen schlenderten. Es gab ein paar schmierig aussehende Barbecue-und-Gumbo-Cafés und zwei Autoreifenwerkstätten, wo auf der Straße gearbeitet wurde. Ein winzigkleiner schwarzer Mann stand auf einer Obstkiste und schnitt Haare, vor ihm auf dem Bürgersteig seine Kunden, in Zeitungspapier eingewickelt und auf Sitzgelegenheiten, die aus irgendeiner Essecke ausgebaut worden waren. Ein paar ältere Männer hatten einen Kartentisch auf den grasbewachsenen Mittelstreifen gestellt und spielten in der Sonne. Nirgendwo gab es Weiße. In diesem Teil der Stadt hätten sich die meisten Weißen auch gefürchtet. Dabei war es keine schlechte Gegend, und die Neger, die hier lebten, betrachteten die Welt sicher nicht als einen Ort der Hoffnungslosigkeit.
    Sallie bog falsch ab und landete auf einer heruntergekommenen Wohnstraße voller pastellfarbener Reihenhäuser, die nur ein Zimmer breit waren; schwarze Jugendliche in ausgebeulten Hosen und großen schwarzen Turnschuhen spielten Basketball ohne Korb. Die Jungen beobachteten, wie wir vorbeifuhren, sagten aber nichts. »Da hab ich die falsche Abbiegung erwischt«, sagte sie mit abwesender, zögernder Stimme. Sie fühlt sich nicht wohl unter Schwarzen, wenn sie die einzige Weiße ist – das ist ein Überrest ihrer privilegierten Jugend in Alabama, wo alles und jeder an einen angestammten Ort gehört und auch dort zu bleiben hat.
    Sie wurde an der nächsten Ecke langsamer und schaute in beiden Richtungen auf eine ähnliche kleine Straße voller Reihenhäuser. Auch hier lauter Schwarze, die ihre Autos wuschen oder in der Sonne auf den Bus warteten. Ich bemerkte, dass wir uns in der Creve Coeur Street befanden, wo sich laut der Times-Picayune besonders viele Mordfälle pro Jahr ereigneten. Das passierte natürlich alles nachts und betraf Schwarze, die andere Schwarze wegen Drogengeld umbrachten. Es war jetzt Viertel vor fünf am Nachmittag, und ich fühlte mich absolut sicher.
    Der Welpe bellte wieder in seinem Käfig, ein leises, vorahnungsvolles Bellen, dann fuhr Sallie einen Block weiter und entdeckte sofort die Straße, die sie gesucht hatte – Rousseau Street. Die Wohnhäuser endeten hier, und alte, verfallene zwei- und eingeschossige Industriegebäude schlossen sich an: eine Offshore-Röhrenfabrik, eine Firma für tiefgefrorene Meeresfrüchte, ein aufgegebenes Recycling-Center, wo die Leute trotzdem weiterhin ihren Müll in Plastiktüten abgeladen hatten. Es gab auch einen kleinen fensterlosen Würfel, in dem eine Klinik für durchreisende Seeleute von ausländischen Schiffen untergebracht war. Ich erkannte das Gebäude, weil unsere Firma die Besitzer einmal in einer Klage wegen Körperverletzung vertreten hatte, und ich erinnerte mich an körnige Fotos von dem Haus und wie ich damals dachte, das bräuchte ich wirklich nie von nahem zu sehen.
    Gegen Ende dieses Blocks befand sich das Heim vom Tierschutz, das in einem langen, düsteren,

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