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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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kleines weißes Licht leuchtete weiter hinten zwischen den Bäumen auf der anderen Seite des Staubeckens auf, wo er nicht mit einem Haus gerechnet hätte. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis seine Wut ihm egal geworden war. Er überlegte kurz, warum Marjorie ihm das eigentlich jetzt erzählt hatte. Es kam ihm komisch vor.
    Dann hörte er, wie sein eigenes Auto ansprang. Das Dieselgetöse, gedämpft metallisch. Die Scheinwerfer schalteten sich forsch ein und beleuchteten ihn. Jäh war laute Musik von drinnen zu hören. Er drehte sich gerade rechtzeitig um, dass er Marjories hübsches Gesicht sehen konnte, im Widerschein des lachsfarbenen Lichts vom Armaturenbrett, wie seins vorhin. Er sah ihre Fingerspitzen oben auf dem Bogen des Steuerrads, hörte das Aufheulen des Motors. Im Wald fiel ihm ein seltsames Glimmen auf, das durch die Bäume drang, etwas Gelbes, etwas aus der tiefen feuchten Erde, ein Dampf, vielleicht war es etwas Magisches. Die Luft roch süß jetzt. Die Laubfrösche hörten auf zu quaken. Und das war es dann.

REVIER
    M
adeleine Granville stand an dem hohen Fenster des Hotels Queen Elizabeth II. und versuchte festzustellen, welches winzige Auto dort unten auf der Wellington Street ihr gelber Saab war. Henry Rothman band vor dem Spiegel seine Krawatte. Henry musste in zwei Stunden ein Flugzeug nehmen. Madeleine würde in Montreal bleiben, wo sie wohnte.
    Henry und Madeleine hatten seit zwei Jahren eine weitaus mehr als gewöhnliche Freundschaft – die Art von Freundschaft, von der außer ihnen beiden niemand wissen sollte (und wenn andere davon wussten, so machte es nichts, beschlossen sie, weil niemand wirklich davon wusste). Sie waren Geschäftspartner. Sie war Wirtschaftsprüferin, er war amerikanischer Lobbyist für ihre Firma, die West-Consolidated Group, die auf angereicherte natürliche Nahrungsmittelzusatzstoffe spezialisiert war und einen großen Teil ihrer Geschäfte im Ausland machte. Henry war neunundvierzig, Madeleine dreiunddreißig. Als Geschäftspartner waren sie viel zusammen verreist, oft nach Europa, hatten bis weit in den Vormittag hinein in vielen Betten in vielen Hotelzimmern gelegen, tonnenweise in sehr guten Restaurants gegessen, an zahllosen Tagen Ausflüge in der strahlenden Mittagssonne gemacht und sich später in anderen Hotelzimmern oder auf Flughäfen voneinander verabschiedet, in Parkhäusern oder Hotelfoyers, an Taxiständen oder Bushaltestellen. Wenn sie nicht zusammen waren, also die meiste Zeit, vermissten sie einander, telefonierten oft, schrieben sich aber nie. Und jedes Mal, wenn sie wieder zusammen waren, spürten sie Freude, Überraschung, Erfüllung und eine dankbare, glückliche Erleichterung. Henry Rothman wohnte in Washington, D.C. , wo er das komfortable Leben eines geschiedenen Anwalts führte. Madeleine hatte sich in einer baumbestandenen Vorstadt mit ihrem Kind und ihrem Architektengatten niedergelassen. Alle, die mit ihnen zusammenarbeiteten, wussten natürlich Bescheid und redeten die ganze Zeit hinter ihrem Rücken darüber. Im Allgemeinen lautete der Befund, das könne eh nicht lange dauern; außerdem sei es besser, sich aus den Angelegenheiten anderer herauszuhalten. Eifersüchtiges Getratsche über andere Leute, die das taten, was man selber gerne täte, sei etwas sehr Kanadisches, sagte Madeleine.
    Doch jetzt fanden sie, es sei Zeit, Schluss zu machen. Sie liebten sich – und dazu standen sie beide. Möglicherweise waren sie aber nicht verliebt (Madeleines Unterscheidung). Ver irgendwas waren sie aber, sie wusste es, und vielleicht war dieses Irgendwas noch besser als Liebe und hatte sein eigenes, intensives, zeitloses Gewebe, ein Innenleben von heftiger Wildheit und hinreißenden Höhen. Was es genau war, blieb verschwommen. Aber nichts war es nicht gewesen.
    Wie immer hing es mit anderen Menschen zusammen – es gab niemanden in Rothmans Leben, na gut, aber zwei in Madeleines Leben. Und diesen beiden war das Leben als stetiges Kontinuum versprochen worden. Deshalb musste entweder das, was mehr als eine Affäre war, jetzt beendet werden – da waren sie sich einig –, oder es würde viel, viel weiter gehen, hinaus in eine Weite ohne Grenzen oder Marksteine, eine Weite voll der schlimmsten Gefahren. Und das wollten sie beide nicht.
    Es hätte ebenso leicht vor sechs Monaten aufhören können, in London – hatte Henry vorgestern beim Landeanflug gedacht. Damals, an einem Morgen im Frühling, saßen sie zusammen in einem

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