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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Landkarten, Immobilienmarkt, Durchschnittstemperaturen im Winter –, und später versteht man nicht mehr, wie man auch nur auf die Idee kommen konnte.
    In Wahrheit liebte Rothman Washington, liebte sein Leben, sein großes Haus hinter dem Capitol Hill, seine Jura-Kumpel und seine Brüder, die etwas possierliche, etwas ramponierte Südstaatenhaftigkeit der Stadt, seine Poker-Partner, seine Mitgliedschaft im Cosmos Club. Und dass er Zugang hatte. Er traf sich sogar ab und zu mit seiner Ex-Frau Laura zum Abendessen, die wie er in einer Anwaltskanzlei arbeitete und nicht wieder geheiratet hatte. Wer man wirklich war und woran man glaubte, war daran abzulesen, was man beibehielt oder nicht ändern konnte, erkannte Rothman. Sehr wenige Leute begriffen das wirklich; die meisten aus seiner Schicht glaubten, dass immer alles möglich wäre, und versuchten deshalb ständig, etwas anderes zu werden. Doch nach einer Weile entpuppten sich diese privaten Einsichten schlicht als Maximen, egal, was man sagte oder tat, um ihnen zu widerstehen. Und das war’s dann. Das war man dann. Henry Rothman begriff, dass er zu den Männern gehörte, die vor allem fürs Alleinleben geeignet waren, egal wie verlockend irgendetwas anderes gelegentlich erscheinen mochte. Und das war in Ordnung.
    Madeleine schrieb mit der Fingerspitze etwas an die Fensterscheibe, während sie auf ihn wartete. Jetzt hatte es sich ausgeweint. Keiner war auf irgendwen böse. Sie spielte bloß herum. Blasses Tageslicht schien durch ihr gerafftes gelbes Haar.
    »Männer denken, dass sich Frauen nie verändern; Frauen denken, dass sich Männer immer verändern«, sagte sie konzentriert, als schriebe sie diese Wörter auf die Scheibe. »Und weißt du was, beide haben Unrecht.« Sie tippte mit der Fingerspitze an das Glas, streckte dann ihre Unterlippe bestätigend vor, riss die Augen weit auf und schaute zu ihm herüber. Was war sie doch für ein kompliziertes Mädchen, dachte Henry; dabei kam ihr das Leben erst jetzt allmählich zu eng vor. In einem Jahr war sie wahrscheinlich weit weg von hier. Die Liebesaffäre mit ihm war nur ein Symptom. Immerhin ein schmerzloses.
    Er kam in seinen gestärkten Hemdsärmeln zum Fenster und legte die Arme um sie, unerwartet väterlich. Sie ließ sich umfassen, dann drehte sie sich um und legte das Gesicht, die Nase voran, an sein Hemd, die Arme locker um seine weiche Taille. Sie nahm die Brille ab, um sich küssen zu lassen. Warm und seifig roch sie, und die Haut, wo er unter ihrem Ohr den Hals berührte, war glatt wie Glas.
    »Was hat sich verändert, was nicht?«, sagte er leise.
    »Oh«, sagte sie in seine Hemdfalten hinein und schüttelte den Kopf. »Mmmmmm. Das versuche ich gerade herauszufinden …«
    Er umfasste mit seinen großen Fingern ihren straffen Oberkörper. »Sag mal«, sagte er leise. Sie konnte etwas sagen, dann konnte er mit einer guten Antwort kommen. Seine Handrücken an der Fensterscheibe fühlten sich kühl an.
    »Tja.« Sie atmete aus. »Ich versuche herauszufinden, was ich von alldem halten soll.« Gedankenverloren rieb sie mit ihrer Schuhsohle über die polierte verzierte Kappe seiner schwarzen Halbschuhe und verkratzte sie ein bisschen. »Manche Dinge sind wirklicher als andere. Ich fragte mich, ob uns das hier wohl irgendwann in der Zukunft besonders wirklich vorkommen wird. Weißt du?«
    »Das wird es«, sagte Henry. Ihre Gedanken waren jetzt gar nicht so weit auseinander. Sonst hätte sich womöglich einer ungerecht behandelt gefühlt.
    »Ich glaube, du hast mehr Respekt vor den wirklichen Dingen.« Madeleine schluckte, atmete wieder aus. »Die unechten Dinge verschwinden.« Sie trommelte leicht mit den Fingern auf seinen Rücken. »Ich fände es schrecklich, wenn das alles hier einfach aus dem Gedächtnis verschwinden würde.«
    »Wird es nicht«, sagte er. »Das kann ich dir versprechen.« Jetzt war der Moment gekommen, sie beide aus dem Zimmer zu schaffen. Zu viele heikle Abschiedsthemen galoppierten plötzlich durch den Raum. »Wie wär’s mit Mittagessen?«
    Madeleine seufzte. »Oh«, sagt sie. »Ja, Mittagessen wäre superklasse. Ich würde gern was essen.«
    Da begann das Telefon auf dem Nachttisch zu klingeln, ein schrilles Läuten, das sie beide hochschrecken und Henry aus irgendeinem Grund nach draußen schauen ließ, als käme das Geräusch von dort. Nicht sehr weit entfernt, auf einem hübschen bewaldeten Stadthügel, sah er das letzte Herbstlaub – tiefe Orangetöne und intensive Grüns und

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