Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
gesagt hatte) und Was bedeutet das für die Zukunft? . Auf diese Einzelheiten kam es an.
    Erstaunlicherweise war der Waschbär, der von dem Pick-up kopfüber durch die Gegend geschleudert worden war und dann als regloser Klecks in der fast völligen Dunkelheit dagelegen hatte, plötzlich wieder zum Leben erwacht und versuchte jetzt, sich und seine nutzlosen Hinterbeine von der Quaker Bridge Road herunter und auf den Grasstreifen und in das Unterholz am Rand des Staubeckens zu schleifen.
    »O Gott, nein«, sagte Marjorie und legte ihre Hand wieder über die beschädigte Nase. Sie wandte sich von dem Kampf des Waschbären ab.
    »Tut es dir nicht mal Leid?«, sagte Steven.
    »Doch«, sagte Marjorie, immer noch mit bedeckter Nase, als dächte sie gar nicht mehr daran, dass sie sie bedeckte. Wahrscheinlich, dachte er, war der Schmerz etwas abgeklungen. So schlimm war es nicht gewesen. »Ich meine, nein«, sagte sie.
    Da hätte er sie am liebsten wieder geschlagen – diesmal aufs Ohr –, aber er ließ es bleiben. Er wusste nicht genau, warum. Man würde es nie erfahren. »Na, was denn nun?«, sagte er und wurde zum ersten Mal richtig wütend. Was ihn schon immer wütend gemacht hatte, sein ganzes Leben lang, wutschnaubend geradezu, war die Situation, in der er alles nur falsch machen konnte, in der es die Option »richtig« nicht mehr gab. Genau so fühlte sich die Situation jetzt an. »Was denn nun?«, sagte er wieder, wütend. »Also echt.« Er sollte sie einfach zu den Nicholsons mitnehmen, dachte er, mit geschwollener Nase, blutigen Lippen, alles verstopft, und dann sieh zu, wie du klarkommst. Oder sie draußen im Auto sitzen lassen oder sich aufmachen und die 18,2 Kilometer nach Hause laufen. Vielleicht konnte George ja herkommen und sie mit seinem Rover abholen. Das waren natürlich nur Gedanken. »Was denn nun?«, fragte er zum dritten Mal. Er hing an diesen Worten fest, an diesem Stückchen unfruchtbarer Neugier.
    »Es tat mir Leid, als ich es dir gesagt habe«, antwortete Marjorie sehr gefasst. Sie ließ die Hand von der Nase in den Schoß sinken. Eine der kleinen grünen Spangen aus ihrem Haar lag jetzt auf ihrer nackten Schulter. »Allerdings nicht sehr«, sagte sie. »Nur, weil ich es dir sagen musste. Und jetzt, wo ich es dir gesagt habe und du mir ins Gesicht geschlagen und wahrscheinlich die Nase gebrochen hast, tut mir nichts mehr Leid – außer meine Nase. Obwohl es mir auch Leid tut, mit dir verheiratet zu sein, aber der Fehler wird behoben, so schnell es geht.« Sie weinte immer noch nicht. »Also, kannst du jetzt , falls noch ein Fitzelchen Gutes in dir steckt, vielleicht mal aussteigen und rübergehen und irgendwas tun, um der armen verletzten Kreatur da zu helfen, die diese Fascho-Wichser mit ihrem Scheiß-Pick-up zu Matsch gefahren und dann ausgelacht haben, weil sie kleine Würstchen und der allerletzte menschliche Abschaum sind? Kannst du das tun, Steven? Ist das im Rahmen deiner Möglichkeiten?« Sie zog heftig durch die Nase hoch und stieß dann ein kurzes, tiefes, niedergeschlagenes Stöhnen aus. Ihre Stimme klang nasaler, noch mehr nach Mittlerem Westen, jetzt, wo ihre Nase verstopft war.
    »Es tut mir Leid, dass ich dich geschlagen habe«, sagte Steven Reeves und öffnete die Wagentür auf die stille Straße.
    »Ich weiß«, sagte Marjorie mit emotionsloser Stimme. »Und es wird dir noch sehr viel mehr Leid tun.«
    Er ging in seinem gelbbraunen Anzug über die leere Asphaltstraße auf die Stelle zu, wo der Waschbär getroffen und an den Straßenrand geschleudert worden war, doch da war nichts mehr. Nur ein kleiner Klecks dunkles Blut, den er gerade noch auf dem knubbligen Straßenbelag erkennen konnte und der auch ein Ölfleck hätte sein können. Kein Waschbär. Der Waschbär hatte mit den letzten Reserven seiner wilden, nicht denkenden Willenskraft die Energie gefunden, sich in die Büsche zu schleppen, um zu sterben. Steven spähte hinab in das dunkle Gebüsch und Dornengestrüpp, die das Staubecken von der Straße trennten. Dort war es sehr still. Er dachte, er hätte ein Rascheln im Unterholz gehört, vielleicht ein Tier, dass sich in das weiche Gras und die feuchte Erde einwühlte, um für immer zu schlafen. Irgendwo draußen auf dem Wasser hörte er die Stimme eines jungen Mädchens, das sehr deutlich lachte. Dann fiel eine Autotür zu, weiter weg. Dann schlug eine andere Art Tür, eine Fliegentür, ins Schloss. Und dann sagte eine Männerstimme: »O nein, o-ho-ho-ho nein.« Ein

Weitere Kostenlose Bücher