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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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und dann die Rechnung bezahlen. Das müsste doch wohl reichen.
    »Ich hab ein Bild von Ihnen gesehen«, sagte der junge Mann mit geradezu höhnischem Grinsen. Er zog die Hände nicht aus den Taschen. Er war noch kleiner als auf den ersten Blick, aber sehr unter Strom. Vielleicht war er nervös. Seine Pilotenbrille war geradezu ein Emblem für nervöses Unter-Strom-Stehen, genauso die schwarze Jacke mit dem bis zum Hals geschlossenen Reißverschluss, so dass man nicht sagen konnte, was er darunter anhatte. Madeleines Mann sah gut aus, aber auf eine schmächtige, zerbrechliche, vage geistlose Weise, als wäre ihm einmal etwas Wichtiges misslungen und er wäre nie ganz darüber hinweggekommen. Seltsam, dachte Henry, dass Madeleine sie beide – ihn, den großen, klobigen Juden, und diesen kleinen, belanglosen, französisch aussehenden Mann – attraktiv finden konnte.
    »Ich bin Henry Rothman.« Er streckte seine große Hand aus, doch der Ehemann ignorierte sie. Was für ein Bild hatte er gesehen? Eins, das sie gemacht hatte, nahm er an, und unbesonnen aufgehoben hatte. Ein Fehler.
    »Wo verdammt ist Madeleine?«, sagte der junge Mann.
    Das klang ganz nach den Worten, die er am Telefon gesagt hatte, aber er wirkte nicht wie die Sorte junger Mann, der wirklich so etwas sagen würde, so etwas oder was immer er gesagt hatte. Kakerlake. Einen blasen. So vulgär wirkte er gar nicht. Es war absurd. Henry fühlte sich jetzt absolut auf der Höhe der Dinge. »Ich weiß nicht, wo Madeleine ist«, sagte er. Das stimmte, und es machte ihn noch entspannter. Er war bereit, einen kurzen Abstecher aufs Zimmer anzubieten. Aber Madeleine hatte die Angewohnheit, überall Ohrringe, Kosmetikartikel, Unterwäsche liegen zu lassen. Zu riskant.
    »Ich habe einen achtjährigen Sohn«, sagte der unter Strom stehende bebrillte junge Mann und schien seine Schultern in der Jacke zu straffen. Er blinzelte Henry an und wippte auf den Fußballen nach vorn, was ihn noch schmächtiger aussehen ließ. Die Augen hinter den gelben Gläsern waren vom klarsten, ungebrochensten Braun, und sein Mund war klein und dünn. Er hatte eine weiche, oliv getönte Haut und eine schwache Rötung der Erregung auf den Wangen. Er wirkte wie ein hübscher kleiner Schauspieler, dachte Henry, glatt rasiert und schauspielerhaft fit aussehend. Madeleine hatte einen hübschen Jungen geheiratet. Warum aber jemals einen Henry Rothman in sein Leben holen, wenn einem dieser Junge gefiel? Ihm war, als hätte sie sich seine menschlichen Qualitäten angeeignet, und zwar aus Gründen, die er missbilligte. Kein gutes Gefühl.
    »Das weiß ich«, sagte Henry, auf das Kind bezogen.
    »Also, ich will Sie hier nicht anmachen«, sagte der junge Mann errötend. »Aber ich werde nicht zulassen, dass Sie sich in meine Ehe reindrängen und meinen Sohn darum bringen, mit beiden Eltern aufzuwachsen. Verstehen Sie das? Das sollen Sie nämlich.« Sein Mund, der Mund eines weichen Jungen, wurde unerwartet hart, fast bösartig. Er hatte kleine, dicht stehende, eckige Zähne, die von seiner Schönheit und seiner Wut ablenkten und ihn irgendwie verdorben aussehen ließen. »Wenn das nicht wäre, würde ich drauf scheißen, was Sie und Madeleine zusammen treiben«, fuhr er fort. »Sie könnten in allen Hotelzimmern der Erde rumficken, es wäre mir scheißegal.«
    »Ja, dann denke ich, Sie haben mir Ihren Standpunkt erfolgreich deutlich gemacht«, sagte Henry.
    »Ach, war das ein Standpunkt?«, sagte Madeleines Mann und riss die Augen hinter den idiotischen Brillengläsern auf. »Das war mir gar nicht bewusst. Ich dachte, ich erteile Ihnen nur ein bisschen Aufklärungsunterricht, da Ihnen ja nichts ferner liegt. Ich wollte Sie gar nicht überreden. Verstehen Sie?« Der Bursche ließ Henry nicht aus den Augen. Die schwarze Jacke verströmte jetzt einen Geruch nach preiswertem Leder, als hätte er sie erst heute gekauft. Henry dachte darüber nach, dass er noch nie eine schwarze Lederjacke besessen hatte. In Roanoke standen die Söhne wohlhabender Ärzte nicht auf so was. Ihr Stil waren eher sportliche Madras-Jacketts und White-Bucks-Halbschuhe. Jüdischer Countryclub-Stil.
    »Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Henry mit einer, wie er annahm, ermüdeten Stimme.
    Madeleines Mann stierte ihn an, aber Henry wurde klar, davon nahm er selbst das Ganze auch nicht ernster. Er war höchstens weniger verstrickt. Und er hätte darauf wetten mögen, dass es Madeleines Mann auch nicht ernst war, aber vielleicht

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