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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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förmliche, reservierte Mädchen mit Barbie-Haaren, sondern ein Kind in der Klemme, das versuchte, sich einen Ausweg herbeizuträumen. Nicht so spannend.
    »Vielleicht in der Lobby«, sagte Henry und dachte währenddessen: Jeff – ein Mann lauert auf dem Flur vor meiner Tür, wartet darauf, hereinzukommen und einen Riesenaufstand zu machen. Dieser Gedanke war äußerst unangenehm und machte ihn sehr müde.
    Das Telefon läutete wieder, und Henry ging ran.
    »Lass mich mit meiner Frau sprechen, du Kakerlake«, sagte dieselbe höhnische Stimme. »Kannst du so lange mal aus ihr rausgehen?«
    »Mit wem möchten Sie sprechen?«, sagte Henry.
    »Lass mich mit Madeleine reden, du Schwanz«, sagte der Mann.
    Der Name Madeleine sorgte für einen kleinen Tumult in seinem Gehirn. »Madeleine ist nicht hier«, log Henry.
    »Klar. Du meinst, sie hat gerade zu tun. Schon kapiert. Soll ich vielleicht später zurückrufen?«
    »Vielleicht liegt hier ein Irrtum vor«, sagte Henry. »Ich sagte doch, Madeleine ist nicht hier.«
    »Ach, bläst sie dir also wirklich gerade einen«, sagte der Mann. »Stell dir mal vor. Dann warte ich einfach.«
    »Ich habe sie nicht gesehen«, log Henry weiter. »Wir haben gestern zu Abend gegessen. Dann ist sie nach Hause gefahren.«
    »Jau, jau«, sagte der Mann mit sarkastischem Lachen. »Das war, nachdem sie dir einen geblasen hatte.«
    Madeleine sah immer noch aus dem Fenster und hörte der einen Hälfte des Gesprächs zu.
    »Wo sind Sie?«, sagte Henry und fühlte sich gestört.
    »Warum willst du das wissen? Denkst du, ich stehe vor deiner Tür und rufe von einem Handy an?« Er hörte metallisches Klicken und Kratzen in der Leitung, und Jeffs Stimme war plötzlich fern und unverständlich. »Na, dann mach doch die Tür auf und find’s raus«, sagte der Mann, wieder da. »Vielleicht stehe ich ja da. Und dann tret ich dir in die Eier.«
    »Ich treffe mich gern zu einem Gespräch mit Ihnen«, sagte Henry und bremste sich dann. Warum sagte er so etwas Albernes? War doch gar nicht nötig. Genau in diesem Augenblick fing er sein Bild im Spiegel auf. Ein großer Mann in Hemdsärmeln und Krawatte mit Bauchansatz. Es war peinlich, dieser Mann zu sein. Er schaute weg.
    »Ach, du willst dich mit mir treffen und reden?«, sagte der Mann und lachte wieder. »Das bringst du doch gar nicht.«
    »Klar bringe ich das«, sagte Henry kläglich. »Sagen Sie mir, wo Sie sind. Ich habe keine Angst.«
    »Dann trete ich dir aber wirklich in die Eier«, sagte der Mann von oben herab.
    »Na, das werden wir ja sehen.«
    »Wo ist Madeleine?« Der Mann klang gestört.
    »Ich habe nicht die geringste Idee.« Jeder einzelne Satz, den er sagte, fiel Henry ein, war eine Lüge. Irgendwie hatte er eine Situation hergestellt, die kein Fitzelchen Wahrheit enthielt. Wie war denn das passiert?
    »Sagst du die Wahrheit?«
    »Ja. Jawohl«, log er. »Wo sind Sie?«
    »In meinem Auto, verdammt noch mal. Einen Block von deinem Hotel entfernt, Arschloch.«
    »Wahrscheinlich finde ich Sie da nicht«, sagte Henry und schaute zu Madeleine, die ihn anstarrte. Er hatte wieder alles unter Kontrolle, oder beinahe. Einfach so. Er konnte es in ihrer Miene lesen – ein blasses Gesicht voll blanker Bewunderung.
    »Ich bin in fünf Minuten in deinem Hotel, du Großkotz«, sagte Madeleines Mann.
    »Ich erwarte Sie in der Lobby«, sagte Henry. »Ich bin groß, und ich trage –«
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Mann. »Du wirst wie ein Arschloch aussehen, egal was du trägst.«
    »Okay«, sagte Henry.
    Klick – der Ehemann war weg.
    Madeleine hatte sich auf einem Arm des Blaue-Hortensien-Sessels niedergelassen, die Hände ineinander verkrampft. Er fühlte sich um vieles älter als sie, und ihr überlegen auch, vor allem, begriff er, weil sie so traurig aussah. Er hatte die Dinge in die Hand genommen, wie immer.
    »Er glaubt, du wärst nicht hier«, sagte Henry. »Deshalb gehst du besser. Ich treffe ihn gleich unten. Du musst den Hinterausgang suchen.« Er sah sich schon nach seinem Jackett um.
    Madeleine lächelte ihn fast verwundert an.
    »Danke, dass du ihm nicht gesagt hast, ich wäre hier.«
    »Aber du bist hier«, sagte Henry. Er vergaß sein Jackett und schaute sich nach seiner Brieftasche und seinem Kleingeld um, seinem Taschentuch, seinem Taschenmesser, der Ansammlung wesentlicher Dinge, die er mit sich herumtrug. Auschecken würde er später. Das war alles so idiotisch jetzt.
    »Du bist kein schlechter Mann, oder?«, sagte sie liebevoll.

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