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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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erzählen wie nötig – das war allerdings sehr anwaltstypisch: besser, den Anschein guten Willens zu zeigen als gar keinen Willen. Tatsächlicher guter Wille würde sich darin äußern, dass er sich die Mühe machte, eine Lüge zu erfinden, als Ausgleich für den bösen Willen, der sich darin äußerte, dass er überhaupt eine Affäre mit Madeleine angefangen hatte. Und da seine Beziehung mit ihr sowieso zu Ende war, konnte sich Jeff die Genugtuung abholen, er hätte dieses Ende bewirkt. Jeder soll denken, er siegt, obwohl keiner siegt. Das war wiederum extrem anwaltstypisch.
    Beim Eintreten in das weiträumige helle Foyer passte Henry seine Augen dem Licht und der neuen, dicht gedrängten Atmosphäre an. Eine Traube von Hotelgästen zog ihre Koffer auf Rädern zu den Drehtüren und auf die Straße hinaus. Viele darunter waren lächelnde Senioren mit langsamen Bewegungen, die Plastikkarten um den Hals trugen und kleine Hüfttäschchen für ihre Wertsachen; die meisten sprachen unverständliches Französisch. Er merkte, er war absolut ruhig.
    Ansonsten bot das Foyer eine angenehme, unechte Feiertagsstimmung, große Kronleuchter aus Gold und Glas und summende Geschäftigkeit. Es wirkte wie eine ausgeleuchtete Musicalbühne, bevor die Hauptdarsteller auftreten. Er schlenderte auf die Mitte zu, hinter der sich Richtung Straße eine Reihe Schaufenster von teuren Boutiquen und Geschenkläden befanden, und die Menschen, die zu den Fenstern hineinschauten, sahen gepflegt und vergnügt aus, in freudiger Erwartung. Es erinnerte ihn an das Mayflower in Washington, wo er sich mit Klienten zu treffen pflegte. Und zugleich fühlte es sich fremd an, komfortabel und beinahe geheimnisvoll fremd wie Kanada immer; so als hätte der Boden einen um drei Grad angeschrägten Neigungswinkel im Verhältnis zu sonst und die Türen würden sich zur anderen Seite hin öffnen. Nichts Unüberwindliches. Amerika unter Schweizer Leitung, sagte Madeleine immer.
    Von dem überfüllten mittleren Foyer aus entdeckte er keinen Jeff-Kandidaten. Eine Gruppe kleiner, amerikanisch klingender Kinder stapfte in einer lückenhaften Reihe vorbei, alle in gesteppten weißen Taekwondo-Uniformen, Hand in Hand. Auch sie waren zu den Drehtüren unterwegs, gefolgt von ein paar ausladenden schwarzen Ladys in den mittleren Jahren, acht insgesamt, alle in großen gesteppten Herbstkleidern mit passenden, teuer aussehenden Federhüten. Südstaatlerinnen, erkannte er – und die Ladys redeten alle viel zu laut über die nachmittägliche Bustour nach Maine runter und über irgendein skandalöses nächtliches Ereignis, das sie zum Lachen brachte.
    Dann bemerkte er einen Mann, der ihn beobachtete, einen Mann am Eingang zum Laden für englische Pullover. Das konnte nicht Madeleines Mann sein, dachte Henry. Er war zu jung – nicht älter als Mitte zwanzig. Der Mann trug schwarze Jeans, weiße Turnschuhe und eine schwarze Lederjacke; er hatte kurz geschorene blonde Borstenhaare und trug eine gelbe Pilotenbrille. Er sah nach einem Studenten, nicht nach einem Architekten aus. Wenn der Mann ihn nicht so durchdringend angestarrt hätte, wäre er ihm niemals aufgefallen.
    Als Henry ein weiteres Mal seinen Blick auffing, setzte sich der Mann abrupt in Bewegung, kam, die Hände in die Seitentaschen der schwarzen Jacke gerammt, als hätte er dort etwas versteckt, direkt auf ihn zu, und Henry wurde klar, dass dieser Mann tatsächlich Madeleines Ehemann war, das konnte nur er sein, auch wenn er zehn Jahre jünger aussah als Madeleine und fünfundzwanzig Jahre jünger als er selbst. Das würde anders werden als erwartet. Einfacher. Der Mann war nicht mal besonders groß.
    Als er bis auf drei Meter herangekommen war, blieb der Mann stehen, genau an der Kante des scharlachroten Teppichs, die Hände immer noch in den Taschen, und starrte nur, als müsste etwas Ungewisses über Rothman – eine unverbundene Stelle in seiner Identität – geklärt werden.
    »Wahrscheinlich suchen Sie mich«, sagte Henry über den Raum zwischen ihnen hinweg. Wieder bemerkte er die Taekwondo-Kids, die der Reihe nach, immer noch Händchen haltend, auf die Straße hinausgingen.
    Madeleines Mann, oder der Mann, den er dafür hielt, sagte nichts, sondern kam weiter auf ihn zu, nur langsam jetzt, als wollte er den Eindruck vermitteln, irgendetwas hätte seine Aufmerksamkeit geweckt. Lächerlich, das alles. Noch mehr Theaterdonner. Sie sollten zusammen Mittag essen, er würde dem Mann eine Menge Lügen erzählen

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