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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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Liegestuhl herum, wollte aus dem wütenden Blick der Sonne über mir heraus. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wehte eine Brise vorbei, und mit dieser Brise kam etwas Wunderbares daher, etwas Süßes und zugleich Scharfes, Schmutziges und Fantastisches, etwas, wovon sich mir die Nase öffnete und das Wasser im Mund zusammenlief. Ich setzte mich auf und hielt die Nase in die Luft, versuchte, dem Duft zu seinem Ursprungsort zu folgen, und dann gesellte sich eine zweite Brise dazu; zusammen füllten sie meine Nase mit dem unwiderstehlichen Geruch von trefem , also nichtkoscherem Fleisch, das auf dem Grill des Snack Shack auf der anderen Seite des Beckens lag.
    – Krieg ich einen Dollar?, fragte ich meine Mutter.
    – In meiner Tasche sind Äpfel, antwortete sie hinter ihrer Jewish Press . » PLO droht mit weiteren Angriffen«, kündigte die Schlagzeile an.
    – Aber ich will ein Soda.
    Sie seufzte tief, reichte mir das Portemonnaie und sagte, ich solle mir einen Dollar herausnehmen. Ich nahm zwei und sauste los.
    – Kipa!, rief sie.
    Ich sauste zurück, zupfte die Kipa aus ihrer ausgestreckten Hand, stopfte sie in den Bund meiner Badehose und rannte, um mich zu Vinn und Tiff im Snack Shack zu gesellen.
    – Eine Cola, sagte ich zu dem Mann hinterm Tresen.
    – Noch was?
    Neben mir stand Vinnie und häufte Sauerkraut und dünn geschnittene Pickles auf seinen Schweine-Hotdog. Mit offenem Mund sah ich zu, wie er die Haare zurückwarf, einen Weg zu seinem Mund bahnte und abbiss. Als hätte er noch nie von Levitikus 11,7 gehört.
    – Was ist denn, Kleiner?, fragte Vinnie. – Noch nie gesehen, wie einer ’n Dog isst?
    Ich hatte noch nie gesehen, wie einer ein Schwein isst.
    – Na, Kleiner?, fragte der Snack-Shack-Mann. – Was soll’s denn nun sein?
    Als Rabbi Schimon ben Jochai sich in einer Höhle vor den Römern versteckte, sprach Gott zu ihm, und Rabbi Schimon ben Jochai schrieb alles auf, was Gott zu ihm sagte. Der Name des Buchs mit den Dingen, die Gott ihm sagte, ist der Sohar, eines der heiligsten Bücher im gesamten Judentum. Rabbi Schimon ben Jochai sagte, Gott habe über einen, der nicht koscher isst, Folgendes gesagt: Gott verabscheut ihn in dieser Welt, und Er foltert ihn in der nächsten.
    – Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, Kleiner, sagte der Snack-Shack-Mann. – Noch was?
    – So eins, sagte ich und zeigte auf einen weißen Plastikeimer, der am Rand des Tresens stand.
    – Ein Slim Jim?, fragte er.
    Ich nickte.
    Mein Herz raste, als der Snack-Shack-Mann in den Eimer langte und ein Slim Jim herausnahm. Ich hatte Slim Jims auch schon vorher gesehen, in unserem Deli, und sie von weitem bestaunt.
    Stell dir das vor , hatte ich gedacht. Eine STANGE FLEISCH !
    Koscheres Fleisch ist sehr kompliziert. Tiere ohne gespaltene Hufe sind verboten. Tiere, die ihre Nahrung nicht wiederkäuen, sind verboten. Nur wenn die Tiere auf besondere Weise geschlachtet werden, sind sie nicht verboten. Jemand muss bestätigen, dass das Tier auf besondere Weise geschlachtet wurde, und auf der Verpackung muss ein Etikett sein, auf dem steht: »Dieses Fleisch wurde auf ganz besondere Weise geschlachtet.« Wenn dieses Etikett auf der Verpackung fehlt, ist das Fleisch verboten.
    Eine Stange. Fleisch! Jederzeit, überall. Ich möchte einen Comic, eine Flasche Milch und eine Stange Fleisch. Was für ein Leben.
    – Käse oder normal?, fragte der Snack-Shack-Mann.
    Und überhaupt, was war schon groß dabei? Mit dem leuchtend roten und gelben Einwickelpapier sahen Slim Jims eher wie ein Schokoriegel als wie verbotenes Essen aus. Hatte Gott die Dinger überhaupt schon mal gesehen? Wie konnte er sich über einen Riegel so aufregen? Wegen eines Riegels wollte er ein Kind foltern? Ich hatte doch keinen Hotdog bestellt. Ich war ja nicht völlig verrückt geworden. Hotdogs waren das tiefe Ende des nichtkoscheren Beckens; ich versuchte zu vermeiden, dass Gott mich in dieser Welt völlig verabscheute, und hoffte, wenn ich im flachen, mit einem Slim Jim, anfing, könnte er mich vielleicht nur irgendwie nicht mögen oder ganz allgemein die Gesellschaft anderer vorziehen.
    – Na?, fragte der Snack-Shack-Mann.
    Trefe war mehr als nur ein Wort für verbotenes Essen. Trefe bedeutete, jemand oder etwas war ekelhaft, übel, widerlich, unmoralisch, verdreht, abscheulich. Ins Kino gehen war trefe , fernsehen war trefe . New York City war trefe . Woody Allen war trefe . Mein Freund Tzvi hatte einen älteren Bruder, der keine Kipa trug und mit einem

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