Eine Vorhaut klagt an
Marshmallows.
– Die gelben Monde sind auch Marshmallows? Wirklich? Und die grünen Kleeblätter? Ich glaube, das mit den rosa Herzen stimmt nicht, Mom …
Sie gab nicht nach.
Im Augenblick der Schöpfung des Menschen hatte Gott ihm zwei Neigungen eingesetzt, die eine gut, die andere böse. Sehr wenig wird über die gute gesagt, die böse Neigung dagegen ist berüchtigt – sie ist die Schlange im Garten Eden, Lots Nacktheit vor seinen Töchtern, der Besucher, der Sara zum Lachen anregt, sie ist der Mann hinten in einer Menge verängstigter Israeliten, der ruft: »Lasst uns das goldene Kalb bauen.« Sie ist es, die Hollywoodfilme und Rockmusik macht, das Freitagabendprogramm im Fernsehen und Nabisco-Double-Stuffeds, sie, die draußen die Sonne scheinen lässt, wenn man drinnen die Tora lernen muss, sie, die das Laub in prächtigen Farben zeigt, um einen am Versöhnungstag aus der Synagoge zu locken. Sie ist eine Anstifterin, eine Betrügerin, eine jahrtausendealte Nervensäge, und nun hatte, so meine Sorge, die böse Neigung, gleich einem großen weißen Hai in den trüben stinkenden Wassern meiner Seele, Blut gerochen.
Ich begann zu stehlen. Ich stahl Twix. Ich stahl Mars-Riegel. Als ich hörte, dass das flüssige Innere der Freshen-up-Kaugummis mit Gelatine hergestellt wurde, stahl ich bei Pathmark einen Sechserpack und verbrachte die Nacht auf dem Fußboden im Bad, wo ich aus allen zweiundvierzig Stücken den Saft sog und die Kaugummis wegwarf. Noch immer lag ich meiner Mutter mit Franken Berry und Lucky Charms in den Ohren – plötzlich damit aufzuhören hätte sie misstrauisch gemacht –, und als mein ständiges Gequengel nach biblisch verbotenen Frühstücksflocken unerträglich wurde, ging sie ohne mich einkaufen; ich wartete, bis sie weg war, machte meine Zimmertür zu und hockte mich im Schneidersitz vor die offene Schublade mit meiner Unterwäsche, und wenn sie wieder zurück war, hatte ich mich fürs Abendessen verdorben.
Lieber Gott , dachte ich, den Mund voller gestohlener Chuckles und Jelly Bellys, was stimmt mit mir nicht?
Ich war krank. Ich war infiziert. Ich war ein Verbrecher. Ich war ein Sodomer, ein Amoriter, ein Hethiter, ein Siniter, ein Giviter. Ich war Kain. Ich war Esau. Ich war Lots Frau. Ich fragte mich, warum Gott so lange brauchte, mich zu bestrafen, mich, die Tasche voll Slim Jims, unter einen Bus zu schleudern, mir mitten in einem Moon Pie einen Herzschlag zu senden, und wenn ich glaubte, dass Er es nun tat – wenn ich einen stechenden Schmerz in der Brust (Herzschlag) oder ein scharfes Pochen im Kopf (Aneurysma im Gehirn) spürte –, rannte ich ins Bad, steckte mir die Finger in den Hals und versuchte, die Sünden, die ich schon geschluckt hatte, wieder zu erbrechen; ich krümmte mich und würgte und hoffte, Gott sei an dem Abend in Alles-Verzeiher-Laune oder wenigstens teilweise oder vielleicht auch nur ein bisschen exkulpierend gestimmt. Danach ging ich wieder auf mein Zimmer, schlug mir mit den Fäusten in den Bauch und wiegte mich auf der Bettkante vor und zurück, in der Hand eine Packung Cheez Doodles, die ich auf keinen, auf gar keinen Fall essen wollte.
7
Im Sommer vor der Fünften beschlossen meine Eltern, dass ich von der ultraorthodoxen Spring Valley Yeshiva auf die normal orthodoxe Torah Academy wechselte; sie lag nur einen kurzen Fußweg von uns entfernt. So religiös die Spring Valley Yeshiva als Einrichtung auch gewesen war, war sie doch, zusammen mit der übrigen Gemeinde, langsam, aber sicher aufgestiegen: Aus grauen Hüten waren schwarze geworden, aus sorgfältig getrimmten Spitzbärten sorgfältig ungetrimmte Vollbärte, und säkulare Fächer wie Mathe und Naturwissenschaften – die immer hinterherhinkten – hinkten nun in noch größerer Entferung hinterher, wenn überhaupt.
Ich war nervös. Meine Rabbis an der Spring Valley Yeshiva sagten mir, ich würde der nächste große Rabbi des jüdischen Volkes werden. Sie sagten mir, ich würde der Anführer meiner Generation werden. Ich kam mir vor wie Abraham, der in ein fremdes Land voller Versuchungen und Sünden aufbrach.
– Du bist wie Abraham, sagte Rabbi Goldfinger zu mir, als er hörte, dass ich wegging, – der in ein fremdes Land voller Versuchungen und Sünden aufbrach.
Und was für ein fremdes Land das war. Statt der langen schwarzen Röcke meiner vorigen Rabbis trugen meine neuen Rabbis einen normalen schwarzen Anzug. Statt schwarzer Filzhüte trugen sie graue. Manche trugen überhaupt
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