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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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nichtjüdischen Mädchen ging. Tzvis Bruder war sehr trefe . Doch nichts – nichts – war trefer , als trefe zu essen.
    – Nun mach schon, Kleiner, sagte der Snack-Shack-Mann. – Käse oder normal?
    Es war doch keine Sünde, eins nur zu kaufen , oder? Ich konnte es ja immer noch wegwerfen. Es war ja nicht so, dass ich es essen musste . Also, wenn allein schon der Kauf von etwas, mit dem man eventuell eine Sünde begehen konnte, an sich schon eine Sünde war, dann konnte man wahrscheinlich auch kein Auto kaufen, weil man ja auch am Sabbat damit fahren konnte, oder? Doch Rabbi Kahn hatte ein Auto, meine Eltern hatten zwei. Rabbi Schimon ben Jochai hatte womöglich auch eins.
    – Dann also Käse, sagte der Snack-Shack-Mann.
    Nichtkoscheres Fleisch zu essen war schon schlimm genug, wenn ich es auch noch in Verbindung mit nichtkoscherem Käse aß, würde Gott mich nie lebendig aus dem Becken lassen. Er würde mir den Kopf gegen das Sprungbrett knallen. Er würde mir im Tiefen einen Krampf schicken, ob ich vor dem Schwimmen nun eine halbe Stunde wartete oder nicht. Muss man länger warten, wenn man trefe gegessen hat?, überlegte ich. Vielleicht nahm der Körper es überhaupt nicht als Nahrung wahr, und ich musste gar nicht warten? Was für ein Leben. Wie auch immer, Er würde Wege finden, mich zu ertränken. Dann würde Er noch meine Mutter ertränken. Vielleicht war sie ja schon tot.
    – Normal, sagte ich. – Bitte, bitte, normal.
    Was tat ich da? Was stimmte mit mir nicht? Warum konnte ich nicht wie die anderen Jungen sein? Alle meine Freunde waren koscher. Meine Schule war koscher. Mein Bruder und meine Schwester waren koscher. Wir gingen in koschere Restaurants. Wir gingen in koscheren Geschäften einkaufen. Unsere Zahnpasta war koscher. Unsere Handseife war koscher. Unser Spülmittel war koscher. Wir hatten getrennte Spülbecken, eins für Fleisch, das andere für Milch. Wir hatten getrenntes Geschirr für Fleisch und Milchprodukte, getrennte Töpfe für Fleisch und Milchprodukte, getrennte Bratpfannen für Fleisch und Milchprodukte. Wenn ein Utensil für Milchprodukte eines für Fleisch auch nur streifte, schrie meine Mutter auf und lief ins Wohnzimmer, wo sie beide in der Zimmerpflanze am Fenster vergrub. Nur die Griffe waren noch zu sehen, und dort blieben sie dann, die Griffe ragten beschämt aus der Erde, bis sie einige Tage später dann irgendwie wieder koscher geworden waren.
    Ich stand im Begriff, eine Grenze zu überschreiten, die niemand, den ich kannte, jemals überquert hatte, was, wie Gott, Rabbi Schimon ben Jochai zufolge, sagte, niemals wieder rückgängig gemacht werden konnte. – Wer verbotene Nahrung isst, sagte Gott zu Rabbi Schimon ben Jochai, – kann niemals gereinigt werden . Warst du erst einmal im Snack Shack, kannst du nie wieder zurück.
    Mir trocknete der Mund aus. Mir zitterten die Hände. In meiner Zeit der Not schaute ich trostsuchend Vinnie an, aber der war damit beschäftigt, Tiffany mit seinem Hotdog zu füttern. Sie biss ein Stück ab, kaute und wurde nicht getötet – sie lächelte sogar, und Senf lief ihr übers Kinn und tropfte auf das Kruzifix, das sie um den Hals hängen hatte. Vinnie beugte sich vor und leckte ihn ab.
    Mein Gott.
    – Ich nehm zwei, sagte ich zu dem Snack-Shack-Mann.
    – Also zwei, sagte er.
    Es eskalierte. Noch eine Minute länger, und ich würde mit der Nase in einem großen Chili con Carne und einem Teller Super Nachos stecken.
    – Zwei fünfundsiebzig, sagte der Snack-Shack-Mann.
    Ich stellte mich auf Zehenspitzen und reichte ihm das Geld meiner Mutter, womit ich in einem einzigen Augenblick ihr das Herz, das Gesetz und mit sechstausend Jahren Tradition brach.
    – Das sind fünfundsiebzig Cent zu wenig, sagte er.
    Das war Gott; genau das war Gott, Er schritt um meinetwillen ein, bot mir eine letzte Gelegenheit, mich vom Abgrund des …
    – Dann lass ich die Cola, sagte ich.
    Ich schnappte meine Slim Jims und setzte mich an einen Picknicktisch in der Nähe. Ich riss eins auf und hielt es mir an die Nase, sog tief die Luft ein, wie ich es bei meinem Großvater gesehen hatte, wenn er ein frisches Glas Heringe aufgemacht hatte. So war das also, dachte ich. So war es also, einer von denen zu sein – den Leuten, die an uns vorbeifuhren, wenn wir samstags zu Fuß zur Synagoge gingen, den Leuten, die freitagabends fernsahen, den Leuten, die Fleischstangen essen konnten, die jeden Tag, den Gott werden ließ, mit Ramapo-Bad-artiger Freiheit ihr

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